Wie kann die Bauindustrie eine „Netto-Null-Bauweise“ erzielen?

Die britische Regierung will bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen. Aber kann die Bauindustrie des Landes – die derzeit für unglaubliche 40 % dieser Emissionen verantwortlich ist – ihre Arbeitsweise so ändern, dass die Umsetzung dieses Ziels realistisch ist?

Angesichts der Befürchtungen rund um den Klimawandel hat die britische Regierung viel Engagement für die Umwelt gezeigt.

Vor drei Jahren wurde der Climate Change Act von 2008 verschärft, indem das ehrgeizige – und, wie manche fürchten, fast unmögliche – Ziel festgelegt wurde, bis 2050 Netto-Null-Kohlenstoffemissionen zu erreichen.

Hinzu kommt, dass immer mehr örtliche Behörden ihre eigenen Emissionsziele festlegen. Es ist offensichtlich, dass der Druck auf die Baubranche steigt, eine umweltfreundliche Gebäudelandschaft zu realisieren.

Nach Angaben des U.K. Green Building Council ist der britische Bausektor derzeit für 40 % der Kohlenstoffemissionen des Landes verantwortlich.

Dieser Umstand kann nicht von der Branche und schon gar von der Gesellschaft einfach ignoriert werden.

Für uns alle ist der Bau von Gebäuden erstrebenswert, die so wenig Auswirkungen wie möglich auf die Umwelt haben – von den Materialien, Bauprozessen und der Menge an verbrauchter Energie für den Betrieb über die Instandhaltung, Sanierung und alle Arbeiten, die Nutzungsänderungen mit sich bringen, bis hin zur Entsorgung.

Das Ziel ist, Gebäude zu errichten, die den Netto-Null-Anforderungen entsprechen – oder zumindest so nah wie möglich an diese Anforderungen herankommen.

Was ist ein Netto-Null-Gebäude?

Was genau ist nun also ein Netto-Null-Gebäude?

Laut dem World Green Building Council (WGBC) ist ein Netto-Null-Gebäude ein Bauwerk, das „höchst energieeffizient [ist und] vollständig mit erneuerbaren Energien innerhalb und/oder außerhalb des Geländes betrieben wird.“

Das WGBC hat eine Rahmenvereinbarung erstellt, die nach eigenen Angaben „Unternehmen, Organisationen, Städte, Staaten und Regionen herausfordert, bis 2030 für alle Anlagen, die ihrer unmittelbaren Kontrolle unterliegen, Netto-Null-Kohlenstoffemissionen im Betrieb zu erreichen und sich dafür einzusetzen, dass alle betriebenen Gebäude bis 2050 den Status Netto-Null-Kohlenstoffemissionen erzielen.“

Ziel ist die Maximierung der Chancen, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen und die betrieblichen Emissionen von Gebäuden zu reduzieren. 

Für eine Branche, die in der Vergangenheit Schwierigkeiten hatte, die Probleme rund um Kohlenstoffemissionen, Energie und betriebliche Effizienz zu lösen, ist das eine schwierige Aufgabe.

Die Herausforderungen sind beträchtlich. Daher gilt es, sie zu erkennen und zu lösen. Kein Gebäude kann vollständig emissionsfrei sein: Ein gewisser Anteil an Kohlenstoff wird bei der Herstellung der Materialien, die beim Bau verwendet werden, immer ausgestoßen. Daher liegt der Schlüssel darin, diesen Anteil auf ein absolutes Minimum zu reduzieren.

Sobald ein Gebäude in Betrieb ist, sollte versucht werden, seinen Energieverbrauch so stark wie möglich zu minimieren, vorzugsweise durch eine zunehmend kohlenstofffreie Versorgung. Denn es steht wahrlich viel auf dem Spiel.

Um die Diskussion über die Möglichkeiten eines Netto-Null-Bausektors voranzubringen, hat Bluebeam gemeinsam mit dem Building-Magazin einen virtuellen runden Tisch veranstaltet, bei dem dieses Thema im Fokus stand. Klicken Sie hier, um die ganze Geschichte zu lesen.

Die Herausforderungen

James Chambers, Regional Director UKI beim Softwarehersteller Bluebeam, war der Meinung, dass es ein wenig widersprüchlich sei, ein Gebäude als Netto-Null zu bezeichnen, nachdem so viel Energie und Arbeit für dessen Entstehung aufgewendet werden muss.

„Man sollte sich zunächst ernsthaft Gedanken über die Bauweise und die Methoden bei der Errichtung eines Gebäudes machen und sich die Frage stellen: Was ist dabei unser Ziel?“

Er war jedoch zuversichtlich, dass der britische Sektor auf die Herausforderungen reagieren kann. „Vieles davon erinnert auf merkwürdige Weise daran, was Großbritannien vor über einem Jahrzehnt erlebte, als Building Information Modeling (BIM) vorgeschrieben wurde. Zunächst reagierte der Sektor nur sehr zögerlich darauf. Aber nach und nach entstand ein Bewusstsein für diese neue Vorschrift und das hat sich in den Lieferketten sowie bei Dritten wie den Auftragnehmern und den Technologie- bzw. Lösungsanbietern niedergeschlagen.

„Es ist sehr ermutigend, dass es hierfür bereits Erfahrungswerte gibt, und jetzt, da für 2050 ein Ziel definiert wurde, werden die Verantwortlichen diesbezüglich viel proaktiver vorgehen.“

Die Lieferkette sei ein wichtiges Element, so Craig Robertson, Head of Sustainability im Architekturbüro Allford Hall Monaghan Morris. Es sei von entscheidender Bedeutung, klar darzulegen und zwar ab Beginn des Entwurfsprozesses, welche Bestandteile für den Bau benötigt werden, um herauszufinden, welche Komponenten Kohlenstoffemissionen produzieren.

„Wir müssen Daten aus unserer Lieferkette gewinnen und in der Lage sein, unsere Auftragnehmer und ihre Lieferketten zu überprüfen, um sicherzustellen, dass wir genau das bekommen, was wir glauben zu bekommen, bzw. womit wir gerechnet haben. Denn wenn sich Änderungen im Beschaffungsprozess ergeben, müssen wir das in der laufenden Kohlenstoffgesamtbelastung berücksichtigen, damit wir die Planung anpassen können.“

Die betrieblichen Aspekte

Die grüne Agenda ist nicht erledigt, sobald ein Gebäude fertiggestellt ist. Dann müssen nämlich die betrieblichen Aspekte berücksichtigt werden. Das Erfassen von Daten zu den Geschehnissen in einem Gebäude ist unerlässlich, um seinen Energieverbrauch nachzuverfolgen und so seine Kohlenstoffemissionen abzuschätzen.

Laut Kathryn Donald, Digital Design Leader beim technischen Beratungsunternehmen Max Fordham, ist die richtige Spezifikation von Messgeräten und Sensoren von entscheidender Bedeutung. Gebäude, die flexibel sind und auf die Bedürfnisse ihrer Bewohner reagieren, bringen eine Menge interessanter Daten hervor, meint sie.

„Gebäude können hinsichtlich all dieser Daten angepasst werden, aber man muss in der Lage sein, die Daten zu sammeln“, so Donald. „Es ist sehr nützlich, über Systeme zu verfügen, die miteinander kommunizieren können. Man muss vorausschauend planen, damit die genutzte Technologie – Software, Hardware, digitale Plattformen – so arbeitet, wie sie soll.“

Debbie Hobbs, Head of Sustainable Business beim Entwickler ISG, gab jedoch zu Bedenken, dass die Geräte richtig gewartet werden müssen, damit die Daten überhaupt aussagekräftig sind. „Nachdem ich Tausende von Energieaudits durchgeführt habe, kann ich Ihnen gar nicht sagen, in wie vielen Gebäuden ich war, bei denen die Außenlufttemperatur nicht kalibriert war. Steuerungen funktionieren nicht, wenn sie nicht richtig gewartet werden.“

Ein weiterer Faktor, der auf dem Weg zu Netto-Null-Gebäuden eine treibende Rolle spielt, kommt von Kundenseite. Roger Macklin, Technical Director beim Ingenieurbüro Hoare Lea, hob die Erfahrungen in Australien hervor, wo ein Ökobewertungssystem für Gebäude im Rahmen des National Australian Built Environment Rating System zur Anwendung kommt.

„Der Grund für seinen Erfolg“, so Macklin, „war, dass der größte Nutzer von Büroflächen im Land, nämlich die australische Regierung, im Grunde sagte: ‚Wir interessieren uns für kein Gebäude mit einem Rating von weniger als fünf Sternen.‘“

Bauträger erkannten, dass sie eine Menge Umsatz verlieren würden, wenn sie nicht auf dieses System reagieren, so Macklin. „Wenn große Immobilienvermietungsunternehmen [in Großbritannien] sagen würden, dass sie kein Gebäude akzeptieren werden, das [ein schlechtes] Kohlenstoff-Rating aufweist, dann treibt das den Markt deutlich voran. Es gäbe ganz einfach keinen Markt für ein Gebäude, das kein bestimmtes Rating hat.“

Ein Kohlenstoffpass?

Macklin wies auch auf die Möglichkeit hin, für Gebäude eine Art Kohlenstoffpass oder -zertifikat einzuführen, durch das man gezwungen wäre, die Energie, die ein Gebäude während seiner gesamten Lebensdauer verbraucht, und somit auch den Kohlenstoffverbrauch anzugeben.

Was durchaus einen Katalysator für Netto-Null-Gebäude darstellen könnte, ist die Nachfrage seitens der Mitarbeiter, insbesondere jüngerer, umweltbewussterer Mitarbeiter, die nur in Gebäuden arbeiten möchten, deren Energieeffizienz nachgewiesen werden kann.

„Das Erreichen einer betrieblichen Netto-Null-Bilanz ist für viele Unternehmen sehr wichtig“, so Alex Edmonds, Associate Director beim technischen Beratungsunternehmen Robert Bird Group.

„Viele Aktivitäten werden von dieser Einstellung angetrieben, die tendenziell von den jüngeren Generationen ausgeht, die in die Branche kommen. Sie wollen diese umweltfreundlichen und nachhaltigen Aspekte von Gebäuden stärker hervorheben.“

Das letzte Wort hatte schließlich Andrew Pratt, Director beim technischen Beratungsunternehmen WSP. „Als ich vor 20 Jahren in diese Branche kam, war der Einsatz von Technologien noch minimal. Wir hatten Zeichenbretter, Faxgeräte, Papierkopien, Briefumschläge und Frankiermaschinen. Nun können wir online in einer 3D-Umgebung arbeiten. Ich kann eine Website aufrufen, mein BIM 360-Modell auswählen und alles funktioniert prima. Ich hoffe, dass jede Technologie, die wir zusätzlich entwickeln, eine weitere Waffe ist, mit der die Kohlenstoffprobleme, denen wir heute gegenüberstehen, bekämpft werden können.“