Das Baugewerbe steht vor einem massiven Arbeitskräftemangel – was können Unternehmen tun?

Große Investitionen in die Energieversorgung und die Infrastruktur in den kommenden Jahren eröffnen lukrative Möglichkeiten für Bauunternehmen. Die Branche ist jedoch mit einem massiven Arbeitskräftemangel konfrontiert, dem nur durch gezielte Maßnahmen entgegengewirkt werden kann.

Mit der Durchführung von lange aufgeschobenen Projekten und einer Erhöhung der Löhne von Arbeitskräften erlebte die Baubranche 2022 ein Comeback. Die Lohnerhöhungen sind jedoch nicht gleichmäßig über Regionen und Gewerke verteilt. Und trotz der zusätzlichen Gelder erreichte die Zahl der offenen Stellen laut den Daten von FRED im April 2022 mit 440.000 einen neuen Höchstwert. Im Juli entschärfte sich die Situation leicht und die Zahl sank auf 375.000 offene Stellen. Damit war sie immer noch sehr hoch, aber entwickelte sich zumindest in die richtige Richtung.

Diese Erholung ist jedoch unter Umständen nur vorübergehend. Im Zuge des im November 2021 unterzeichneten Bipartisan Infrastructure Law der US-Regierung sind Investitionen in Höhe von 550 Milliarden $ (536 Milliarden €) für das nächste Jahrzehnt vorgesehen. Wenn die Schätzung von 3,2 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen, die im Rahmen der bundesstaatlichen Investitionen erforderlich sind, korrekt ist, bedeutet dies für das Baugewerbe einen Bedarf von 300.000 bis 600.000 neuen Arbeitskräften pro Jahr. Ihre Aufgabe wird darin bestehen, die Straßen, Schienen und Brücken sowie die Energieversorgung des Landes zu modernisieren.

Ohne genügend Arbeitskräfte ist ein planmäßiger Baubeginn oder -abschluss von Projekten jedoch nicht möglich. Die Vorlaufzeiten für Subunternehmer sind länger als je zuvor und selbst Materiallieferungen kommen nicht rechtzeitig an oder sind unvollständig.

Bauunternehmen müssen nicht nur die Gründe für den Arbeitskräftemangel kennen, sondern auch eine Strategie entwickeln, um diesem entgegenzuwirken.

Treibende Faktoren

Dem Arbeitskräftemangel im Baugewerbe liegt eine Vielzahl von Faktoren zugrunde und nicht für alle gibt es einfache Lösungen.

Die alternde Arbeiterschaft: Babyboomer, die zwischen 1946 und 1964 geboren wurden, gehen nun in großer Zahl in den Ruhestand. Laut einem Bericht von Fixr lag die Zahl der aus Bauunternehmen ausscheidenden Personen im März 2022 bei 248.000 und war damit so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. Besonders entmutigend ist dabei der zunehmende Mangel an fähigen Handwerker:innen.

Hinzu kommt der Rückgang der Bauarbeiter:innen im Alter zwischen 25 und 54 Jahren um 8 % seit dem Ende der Weltwirtschaftskrise von 2008/2009, wie Associated Builders and Contractors (ABC) berichtet. Bei einem Anteil der Arbeiter:innen über 55 Jahren von 20 % und einem durchschnittlichen Renteneintrittsalter von 61 Jahren ist damit zu rechnen, dass jeder fünfte Beschäftigte innerhalb der nächsten sechs Jahre die Branche verlässt.

„Eine ganze Generation erfahrener Arbeiter geht jetzt schneller in den Ruhestand, als neue Arbeitnehmer in die Branche einsteigen“, so Adam Graham, Branchenanalyst bei Fixr.

Eine ungelernte Arbeiterschaft: Neue Mitarbeiter:innen verfügen oft nicht über die Fähigkeiten, die am dringendsten gebraucht werden. Laut ABC waren mehr als 40 % der neuen Arbeitskräfte im Baugewerbe in den letzten zehn Jahren geringfügig qualifizierte Bauarbeiter:innen.

Daraus ergibt sich für die Branche ein Bedarf von 650.000 Fachkräften, die natürlich auch von allen anderen Branchen umworben werden.

Mittelmäßige Bezahlung für schlechte Bedingungen und unsichere Arbeit: Bauprojekte sind schlecht vorhersehbar und werden oft unter widrigen oder sogar gefährlichen Bedingungen durchgeführt. Außerdem ist es schwierig, die Löhne zu erhöhen, wenn Kunden niedrigere Preise fordern. Der einzige Weg, um Gewinne konstant zu steigern, besteht deshalb darin, die Arbeitskosten zu senken.

Laut Fixr erzielte der bzw. die durchschnittliche Bauarbeiter:in 2021 ein Jahreseinkommen von 48.210 $ (47.005 €) und lag damit etwas über dem bundesweiten Durchschnitt. Die einfachen Arbeiter:innen verdienten am schlechtesten, während Fachkräfte – Prüfer:innen, Installateur:innen von Rolltreppen und Aufzügen, Elektriker:innen und Klempner:innen – mit ihrem Verdienst weit über dem Durchschnitt lagen. Bestimmte Bereiche der Branche wie die Arbeit an Gaspipelines oder in Kohlebergwerken bieten ebenfalls eine höhere Bezahlung.

Die höchsten Gehälter bekamen Bauarbeiter:innen an der nördlichen Ostküste, im Mittleren Westen, an der Westküste sowie in Alaska und Hawaii. Beschäftigte im sogenannten Tiefen Süden hatten es dagegen am schlechtesten: So lag das Durchschnittseinkommen im Bundesstaat Mississippi beispielsweise bei gerade einmal 32.370 $ (31.561 €). Zwar stiegen die Löhne im Baugewerbe laut dem Branchenexperten Barry LePatner 2021 um fast 8 %, während die Löhne in den Bereichen Transport und Lagerung im gleichen Zeitraum sogar um 12,6 % erhöht wurden. Diese Diskrepanz könnte dazu beitragen, dass die Arbeit im Baugewerbe langfristig weniger attraktiv wird.

Einwanderungsstillstand: Viele Arbeiter aus anderen Länder würden gerne in die USA kommen und dort für höhere Löhne arbeiten. In den letzten Jahren ging die Nettomigration jedoch stark zurück, von 1,06 Millionen Menschen 2016 auf nur noch 244.000 im Jahr 2021. Das Baugewerbe kann weitaus weniger internationale Arbeitnehmer:innen aus den Bereichen Ingenieurwesen, Architektur und Vertragsmanagement gewinnen.

Erfolgreiche Strategien

Herkömmliche Ansätze werden den aktuellen Arbeitskräftemangel nicht lösen, so Expert:innen. Zunächst einmal geht es nicht nur ums Geld. Eine Studie des weltweit tätigen Beratungsunternehmens McKinsey zum Thema Arbeitskräfteabgang machen die Wichtigkeit von anderen bezahlungsunabhängigen Aspekten der Beschäftigung deutlich. Heutzutage spielen für Angestellte auch das Image und die Kultur eines Unternehmens sowie Lernmöglichkeiten und Technologienutzung eine wesentliche Rolle.

Verbesserung des Images der Baubranche: Berufs- und Handelsschulen sprechen junge Menschen heutzutage nicht mehr an. Besonders dem Baugewerbe fehlt es an Prestige. Unternehmen sollte Pläne für Interaktionen mit der Community rund um den Arbeitsplatz Baustelle entwerfen. Ein solcher Plan könnte den Besuch von Schulen, Freizeitsport sowie die Teilnahme an wohltätigen Zwecken wie Habitat for Humanity beinhalten. Bauunternehmen müssen jungen Menschen helfen zu erkennen, dass die Arbeit in der Branche eine Chance auf berufliche Weiterentwicklung darstellt.

Entwicklung einer ansprechenden Unternehmenskultur: Sorgen Sie dafür, dass sich Menschen aus allen Ländern und Kulturkreisen an Ihrem Arbeitsplatz willkommen fühlen. Vielfalt bezieht sich dabei nicht nur auf ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht und Alter. Vielmehr umfasst sie etwa auch Nationalität, Lebensumstände und körperliche Einschränkungen. Das Vorhandensein mehrerer Stimmen und Perspektiven wird auch zu mehr Ideen führen, die wiederum Innovationen in einem Unternehmen bedingen. Gestalten Sie gemeinsam Visionen und Werte für das Unternehmen, an die auch die Arbeiter:innen glauben. Teilen Sie die Anerkennung vonseiten der Kund:innen und Lieferant:innen und belohnen Sie die Mitarbeiter:innen, die die besten Eigenschaften des Unternehmens verkörpern.

Investitionen in die Mitarbeitenden: Für Unternehmen ist es von entscheidender Bedeutung, ihre Wertschätzung gegenüber der Belegschaft zu zeigen. Investieren Sie in Schulungen und Personalentwicklung, um nicht nur die Leistung zu verbessern, sondern auch die Zufriedenheit am Arbeitsplatz zu steigern. Weiterbildungen erhöhen die Sicherheit und Produktivität, vereinfachen die Anziehung und Bindung von Mitarbeitenden und verschaffen Arbeitnehmer:innen genauso wie Arbeitgeber:innen einen Vorteil.

Einführung von Technologien: Technologien können ebenfalls dazu beitragen, die Auswirkungen des Arbeitskräftemangels zu minimieren. Start-ups aus der Bautechnologiebranche implementieren Werkzeuge, um Bauwerke auch mit geringer qualifizierten Arbeiter:innen errichten zu können. Mithilfe von industriell gefertigten Platten können Unternehmen beispielsweise ein Haus mit nur 10 % der Arbeitskraft und zu wesentlich geringeren Kosten bauen.

Hinzu kommt, dass Technologien wie Building Information Modeling (BIM) und Augmented Reality auch besondere Anreize für die Mitglieder der Generation Z bieten, die zwischen Mitte der 1990er und Anfang der 2010er Jahre geboren wurden. Arbeitnehmende dieser Generation sind bestrebter, für ein technisch versiertes Unternehmen zu arbeiten. Beginnen Sie also mit einem digitalen Einstellungsprozess und setzen Sie Technologien sowohl im Büro als auch auf der Baustelle ein.

Bauunternehmen, die es versäumen, jetzt Strategien zu entwickeln und umzusetzen, werden gegen Ende des Jahrzehnts mit geringerer Produktivität, höheren Arbeitskosten und kontinuierlichen Projektverzögerungen zu kämpfen haben. Um den Arbeitskräftemangel zu überwinden, müssen Mitarbeitende eine strategische Priorität für Ihr Unternehmen darstellen. „Weiterbildungen, Beförderungen, höhere Löhne und eine größere Wertschätzung der Mitarbeiter vonseiten der Chefetage können dazu beitragen, dass weniger Menschen das Baugewerbe verlassen“, so Graham. „Investitionen in einen besseren Ruf der Branche sowie die Gestaltung eines angenehmeren Arbeitsumfeldes mit attraktiveren Bedingungen werden auf lange Sicht einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass auch die jüngere Generation in diese Branche einsteigt.“