Das größte Bauprojekt Europas wird dieselfrei

Die Errichtung der Hochgeschwindigkeitsstrecke in England begann mit dem Ziel, Netto-Null in Bezug auf Treibhausgasemissionen zu erreichen. Anschließend wurde das Projekt um dieselfreie Baustellen erweitert, um eine weitere Dekarbonisierung zu erreichen.

Wer an eine Baustelle ohne Diesel denkt, kann sich wohl kaum vorstellen, wie die Arbeit vonstattengehen soll. Laut dem Engine Technology Forum werden 98% der gesamten in der Bauindustrie verbrauchten Energie mit Diesel bereitgestellt. Dazu gehört die Stromversorgung von mehr als drei Viertel aller schweren Baumaschinen sowie von Generatoren und Kompressoren.

Die Nutzung von Diesel hat jedoch ihren Preis. Sogar Diesel, der die Tier-4-Normen der US-Umweltschutzbehörde EPA erfüllt, erzeugt laut der Occupational Health and Safety Administration giftige Abgase und Partikel, die sowohl die Umwelt als auch die Gesundheit der Arbeitnehmer schädigen.

Da 39% der weltweiten Kohlendioxidemissionen aus dem Baugewerbe stammen– hauptsächlich aus der Herstellung von Baumaterialien und der Verbrennung fossiler Brennstoffe–, steht für den gesamten Sektor einiges an Arbeit an. Es war daher eine durchaus mutige Entscheidung, beim Bau der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke High Speed 2 (HS2) auf Diesel zu verzichten.

„Der Klimawandel stellt uns vor beispiellose Herausforderungen“, so Andrea Davidson, Leiterin des Bereichs Umweltwissenschaften in der Direktion technische Dienste von HS2 Limited. „Die Art und Weise, wie wir reisen– und wie wir unsere Verkehrsnetze aufbauen–, ist für unseren Umgang mit diesem globalen Notfall von entscheidender Bedeutung.“

Das Ziel: Null Emissionen

Über die HS2 werden CO2-freie Hochgeschwindigkeitszüge die Städte Birmingham und London verbinden. Dafür sind vier neue, hochmoderne Bahnhöfe, zwei Depots und 225Kilometer an Gleisstrecke erforderlich.

Ursprünglich war das HS-Projekt auf das Ziel ausgerichtet, im Einklang mit den britischen Zielen Netto-Null-Treibhausgasemissionen zu erreichen. Wichtige Partner wie Skanska arbeiteten jedoch bereits an dieselfreien Baustellen, entwickelten ein Geschäftsmodell und ergriffen Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels. Die Entscheidung in Bezug auf das HS2-Projekt wurde auch durch Bestimmungen im britischen Finanzgesetz 2021 beeinflusst, die sicherstellen sollen, dass die Steuern die schädlichen Auswirkungen von Diesel-Emissionen angemessen widerspiegeln. Mit dieser Vorgehensweise möchte man Nutzern umweltschädlicher Brennstoffe Anreize bieten, ihre Energieeffizienz zu verbessern, in saubere Alternativen zu investieren und weniger Brennstoff zu verbrauchen.

Im Rahmen des Net Zero Carbon Plan verpflichteten sich die Projektverantwortlichen von HS2, bis 2029 alle Baustellen ohne den Einsatz von Diesel zu betreiben. Auf der ersten Baustelle sollte dies bis 2022 umgesetzt werden. Darüber hinaus strebte das Team eine Reduzierung der Kohlenstoffemissionen aus der Stahl- und Betonherstellung um 50% bis 2030 im Vergleich zu 2021 sowie eine Reduzierung bei schweren Nutzfahrzeugen um 11% bis 2027 im Vergleich zu 2020 an. Vom ersten Betriebstag der HS2 an soll nur noch CO2-freier Strom verwendet werden. Und zu guter Letzt zielte das HS2-Projekt darauf ab, bis 2025 Scope-1- und Scope-2-Emissionen sowie bis 2035 Scope-3-Emissionen im Netto-Null-Bereich zu erreichen und alle verbleibenden Emissionen ab diesem Zeitpunkt auszugleichen.

Die größte Hürde: Mythen entzaubern

Einen Ersatz für Diesel zu finden, ist kein besonders leichtes Unterfangen. Es gibt keine einheitliche Alternative, die für alle Baustellen gleichermaßen infrage kommt. Wichtige Faktoren hierbei sind der Standort, die Tätigkeiten und die Bauweise. Wenn kein Stromanschluss verfügbar ist, empfiehlt Davidson, andere Lösungen in Betracht zu ziehen: Von Wasserstoff-Kraftwerken und Brennstoffzellentechnologien bis in zu Drop-in-Biobrennstoffen und Bio-Flüssiggas gibt es hier einige Optionen.

Wer als Pionier agiert, muss auch höhere Kosten auf sich nehmen. Davidson betont, wie wichtig es sei, bei der Entscheidung für Dieselalternativen nicht nur an die Anfangsinvestition zu denken, sondern auch die Betriebskosten und CO2-Einsparungen für die gesamte Nutzungsdauer von Maschinen auf einer Baustelle mit einzubeziehen.


EBENFALLS AUF BUILT:


Darüber hinaus stehen Bauunternehmern aufgrund vorherrschender Vorurteile in Bezug auf Dieseloptionen Veränderungen möglicherweise skeptisch gegenüber. Studien, Tests und unabhängige wissenschaftliche Nachweise sind von entscheidender Bedeutung, um die Risiken von Lösungen zu minimieren und Vertrauen zu schaffen, dass Dieselalternativen funktionieren, zuverlässig sind und Gesundheits- und Sicherheitsbedenken Rechnung tragen. Nur dann ist eine dieselfreie Baustelle umsetzbar.

„Die Baustellenteams haben für das Erreichen dieses Ziels beim HS2-Projekt eine entscheidende Rolle gespielt“, so Davidson. „Ihre Initiativen haben anderen Bauunternehmern die Möglichkeiten aufgezeigt– das treibt die Chancen und den Übergang voran.“

Kombination von Technologien

Ein Grundsatz für eine geringere Nutzung jeder Energiequelle besteht in der Minimierung der Nachfrage. Ein entscheidender erster Schritt besteht daher darin, die Brennstoffeffizienz auf der Baustelle sicherzustellen, um Emissionen und Kosten zu senken. Zu den Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz gehören unter anderem die Nachrüstung alter Maschinen, Bedienerschulungen, Programme gegen Leerlauf, Batteriespeicherlösungen und Schwungradtechnologien.

Natürlich kann eine Netzspeisung die Stromversorgung von Geräten mit einer sauberen Ladelösung erleichtern. Der Zugang hängt jedoch von der Baugenehmigung, der Nachfrage und den Anschlusszeitrahmen ab. Durch die Zusammenarbeit mit Vertriebsnetzunternehmen konnten die H2S-Verantwortlichen einen Plan zur Optimierung der Verbindungen ausarbeiten.

Das Ziel des H2S Net Zero Carbon Plan besteht darin, bis 2035 äußerst geringe oder überhaupt keine Emissionen mehr zu verursachen. Zunächst steht jedoch im Vordergrund, die Emissionen möglichst zu reduzieren bzw. zu vermeiden und anhand eines Großprojekts die Machbarkeit dieselfreier Baustellen zu demonstrieren. „Durch die Priorisierung dieser Ziele verringern wir die Auswirkungen auf die Baustellenbetreiber sowie auf die Menschen, die in der Umgebung leben, indem wir die Luftverschmutzung in unmittelbarer Nähe der Standorte verringern“, erläutert Davidson. „Aufgrund der Größe und des Umfangs des HS2-Programms haben wir die Möglichkeit und die Verantwortung, die Norm in Frage zu stellen, Chancen zu erkennen und nachhaltigere Lösungen einzuführen, damit wir ein positives, dauerhaftes Erbe hinterlassen können.“

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