Dieser 1‑Milliarde-Dollar-Wolkenkratzer in Chicago wurde von Frauen gebaut

Am Bau des 365 Meter hohen St. Regis Chicago waren zahlreiche Frauen beteiligt – von der Planung über das Projektmanagement bis hin zu den Gewerken.

Im Jahr 2020 entstand ein markantes neues Bauwerk in Chicagos Stadtteil Lakeshore East.   

Das in blau-grünes Glas gehüllte The St. Regis Chicago, ein Projekt der Magellan Development Group, beherbergt 275 luxuriöse Eigentumswohnungen, 21 Penthouse-Suiten und ein Fünf-Sterne-Hotel. Durch sein Design erinnert es an den nahe gelegenen Lake Michigan und den Chicago River. Mit seinen drei wellenförmigen und ineinander verschachtelten Türmen ist es eine inspirierte Ergänzung zu einer Stadtlandschaft voller architektonischer Wunder – und ein Projekt, an dem ungewöhnlich viele Frauen beteiligt waren, deren Arbeit schon vor Baubeginn begann.  

Jeanne Gang, Architektin bei Studio Gang und MacArthur Fellow, kann mit Stolz behaupten, das höchste jemals von einer Frau entworfene Bauwerk der Welt geplant zu haben – es umfasst 101 Stockwerke und ist 365 Meter hoch. Um dem Bauwerk seine wellenförmige Form zu verleihen, hat Gang Pyramidenstümpfe verwendet, 12-stöckige Pyramiden mit abgeschnittener Spitze. Diese wurden wiederholt in abwechselnder Ausrichtung eingesetzt, einmal richtig herum und dann auf dem Kopf stehend. Anstelle des typischen gläsernen Rechtecks handelt es sich hierbei um ein achteckiges Bauwerk. Diese elegante Raumgestaltung trägt zur Maximierung des Licht- und Lufteinlasses auf einer Fläche von 1,8 Millionen Quadratmetern bei.  

In jeder Bauphase des 1-Milliarden-Dollar-Bauwerks spielten Frauen eine wichtige Rolle.   

Patricia McHugh, Eigentümerin und Vorsitzende von McHugh Construction, dem Generalunternehmer des Gebäudes, leitet das Unternehmen bereits in vierter Generation. Sie ist jedoch die erste Frau in dieser Rolle. Obwohl Frauen laut dem U.S. Bureau of Labor Statistics durchschnittlich nur 10,9 % der Beschäftigten im Baugewerbe ausmachen, waren sie auf der St. Regis-Baustelle in jeder Funktion vertreten. Im Folgenden finden Sie die Erfolgsgeschichten von drei Frauen: einer erfahrenen Projektmanagerin, einer Bauarbeiterin, die zur Sicherheitsbeauftragten wurde, und einer Hochschulabsolventin.  

Melissa Tompkins, Projektmanagerin, 26 Jahre Branchenerfahrung  

Für den Bau des St. Regis wurden zwei Projektmanager:innen benötigt: für das Hotel und für die Wohnimmobilien, deren Gestaltung von Melissa Tompkins überwacht wurde. Zu ihrem Tagesablauf gehörte die Verwaltung von Zeitplänen und Budgets, die Überprüfung der Qualität der auf der Baustelle eingetroffenen Materialien und die Beaufsichtigung von mehr als 100 Subunternehmer:innen. Außerdem fungierte sie als Kontaktperson zwischen Eigentümer:innen, Architekt:innen und Bauarbeiter:innen.  

Der Bau des St. Regis fiel in die Zeit der COVID-19-Pandemie. Dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeiter die Vorgaben des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in puncto Mindestabstände, Mund-Nasen-Schutz, Händewaschen, Beschilderung und Zutritt einhielten, hatte oberste Priorität, um Sicherheit zu gewährleisten. „Die Arbeiter sicher in die höheren Stockwerke des Hochhauses zu bringen, erforderte sorgfältige Planung“, so Tompkins. „Aber einfache Aktivitäten wie ein gemeinsames Mittagessen waren gar nicht mehr möglich.“  

Erschwerend hinzu kamen außerdem die ständigen Probleme mit der Lieferkette, vor allem wenn es Lieferanten nicht möglich war, Materialien pünktlich bereitzustellen. „Das ergab einen echten Dominoeffekt, der sich auf alle Bauphasen auswirkte“, so Tompkins. „Um weiterarbeiten und den Zeitplan einhalten zu können, musste man strategisch vorgehen.“ Wesentlich war dabei die Auswahl von alternativen Materialien, die in den Zeitplan und ins Budget passten.  

Tompkins studierte Construction Engineering Management an der Purdue University in West Lafayette, Indiana. Davor hatte sie das Baugewerbe bereits als Praktikantin kennengelernt. Nach mehr als zwei Jahrzehnten in der Branche und 15 Jahren bei McHugh zeichnet sie sich durch Organisationsgeschick und Genauigkeit aus. Diese beiden Eigenschaften sind ein Muss, um im Projektmanagement erfolgreich zu sein.  

Sie verfügt außerdem über eine weitere wichtige Kompetenz: Kommunikationsfähigkeit. „Wenn es ein Problem gibt, finde ich es sehr wichtig, dass alle Beteiligten zusammenkommen, sei es vor Ort oder im Rahmen einer Telefonkonferenz, um die Probleme zu besprechen und gemeinsam Lösungen zu finden.“   

Im Laufe der Jahre hat Tompkins als Frau in einer von Männern dominierten Branche einen erheblichen Wandel in den Umgangsformen erlebt. „Ich versuchte, stets optimistisch zu bleiben, denn ich wusste, dass sich die Denkweise bzw. das gesellschaftliche Bewusstsein irgendwann ändern würde“, gibt sie an. „Dann würde das Wissen im Vordergrund stehen und nicht mehr das Geschlecht, die Hautfarbe oder das Alter.“ Tompkins hat dabei Unterstützung von anderen Frauen erhalten, die wie sie im Laufe ihrer Karriere in leitende Positionen aufgestiegen sind.  

Das Wissen, dass sie und ihre Mitarbeiter abends ohne Zwischenfälle nach Hause zu Ihren Familien zurückkehren, gibt Tompkins die notwendige Motivation, die sie für ihre Arbeit braucht. Tompkins und Ihr Mann und Sohn lieben nichts mehr, als Action- und Animationsfilme anzusehen, dabei Popcorn und Süßigkeiten zu essen und das Geschehen zu kommentieren.   

Ihr Ratschlag an Frauen, die eine Karriere in der Baubranche erwägen: „Bauen Sie sich ein Netzwerk aus anderen Frauen in der Branche auf, denn der Rückhalt durch andere ist wirklich unerlässlich.“   

Rachael Dolecki, Sicherheitsbeauftragte, 10 Jahre Branchenerfahrung   

Für Rachael Dolecki stellte allein der Umstand, während der Bauarbeiten in jedes Stockwerk des St. Regis gelangen zu müssen, um ihre Arbeit erledigen zu können, eine Herausforderung dar. Aber auch ein anderer Faktor erschwerte ihre Rolle als Sicherheitsbeauftragte: Bei Wolkenkratzern erhöht sich das Sicherheitsrisiko, wenn alle Stockwerklayouts identisch sind. Die Arbeiter:innen werden unvorsichtig, weil sie meinen, den Grundriss bereits zu kennen. Dolecki und ihre Kolleg:innen mussten sich deshalb umso mehr für ihre Sicherheit einsetzen. „Da konnte es schon vorkommen, dass ich mich ganz oben befand und die Lochabdeckungen oder die Netze, die ich viele Stockwerke weiter unten ausgetauscht hatte, entfernt oder falsch wieder angebracht wurden“, so Dolecki.   

Neben ihrer Arbeit im Bereich des Sicherheitsmanagements hat Dolecki auch CDC-Richtlinien durchgesetzt, positive COVID-19-Tests erfasst und Kontaktpersonen nachverfolgt, um herauszufinden, welche Subunternehmer:innen über ein mögliches Infektionsrisiko informiert werden mussten.  

Dolecki gelangte auf indirektem Weg zu ihrer Karriere in der Baubranche. Zunächst studierte sie am Barat College in Lake Forest, Illinois, Psychologie und hatte ein Volleyball-Stipendium. Sie verlor jedoch die Motivation und brach das College in ihrem letzten Studienjahr ab. Nachdem sie in verschiedenen Bereichen gearbeitet hatte, bat Dolecki ihren Vater, der als Handwerker tätig war, scherzhaft, ihr einen Job als Warnposten zu beschaffen. Ihr Vater nahm den Vorschlag ernst und Dolecki wurde Warnposten für Betonkonstruktionen im Lurie Children’s Hospital in Chicago.  

Dort bekam Dolecki eine Stelle in der Deck-Überwachung, aber als sich die OSHA-Standards für Absturzsicherung änderten, wechselte sie ins Sicherheitsmanagement. McHugh schickte sie zu einem OSHA-Kurs, um sich zertifizieren zu lassen: Sechs Monate, zweimal die Woche, drei Stunden pro Nacht und all das neben ihrer Vollzeitarbeit.    

Dolecki besucht jeden Tag mehrere Baustellen, um sicherzustellen, dass alle OSHA-Vorgaben eingehalten werden. „Ich behandle die Arbeiter:innen mit Respekt und dasselbe erwarte ich auch von ihnen“, so Dolecki. „Sie wissen, dass ich als Sicherheitsbeauftragte die Befugnis habe, sie von der Arbeit zu entlassen.“   

Wenn sie nicht bei der Arbeit ist, ist Dolecki gemeinsam mit ihrem Mann, einem Rohrschlosser, damit beschäftigt, ihre Töchter zu deren Sportveranstaltungen zu fahren. Sie ist stolz auf das St. Regis und darauf, dass sie schon dabei war, als es sich bei dem Projekt noch um eine Baugrube handelte. „Das Bauwerk ist wirklich etwas Besonderes und es ist ein großartiges Gefühl, daran beteiligt gewesen zu sein“, fügt sie hinzu.  

Ihr Ratschlag für Frauen, die eine Karriere in der Baubranche erwägen: „Tun Sie es! Stellen Sie sich der Herausforderung und behaupten Sie sich.“  

Shelby Griffin, Projektmanagerin im Bereich Betonarbeit, 5 Jahre Branchenerfahrung   

Shelby Griffin arbeitet seit ihrem Hochschulabschluss für McHugh. Die ersten zweieinhalb Jahre ihrer Karriere verbrachte sie als Projektingenieurin für das St. Regis-Projekt, bis sich alles änderte. „Meine vorherige Arbeit mit Beton bestand darin, Parkplätze und Gehsteige zu planen und zu bauen, bei denen Bewehrungsstahl mit einem Stabdurchmesser von 13 mm zum Einsatz kam. Der Umstieg auf Bewehrungsstahl in einer Größenordnung von 57 mm, was etwa meinem Armumfang entspricht, war eine riesengroße Umstellung“, so Griffin.  

Griffin stammt ursprünglich aus Oak Forest, Illinois, und hat sich schon immer für alles interessiert, was mit der Bauindustrie zu tun hat. „Schon als Kind habe ich durch den Zaun gespäht, um zu sehen, was da gebaut wird“, erinnert sie sich. Griffin erlangte ihren Abschluss im Bauingenieurwesen von der Purdue University, stellte aber fest, dass sie nicht gerne in einem Büro arbeitete. Daraufhin verlagerte sich ihr Schwerpunkt auf die Bautechnik und sie absolvierte ein Studium am Illinois Institute of Technology.  

Damit das Bauwerk den berüchtigten Winden Chicagos standhalten konnte, die über Lake Michigan wehen, setzten die Architekten des St. Regis auf hochfesten Beton. Dem Zeitplan zufolge musste alle drei Tage ein Boden gegossen werden. Das Team legte nach Aushärten des Bodens die vertikalen Elemente aus und bereitete die Ständer und Wände vor, damit die Stahlbauarbeiter mit der Arbeit am nächsten Deck beginnen konnten.  

Wenn Probleme auftauchen, verlässt sich Griffin auf ihr Wissen als Ingenieurin, um zu einer Lösung zu kommen. „Wenn alle zusammenarbeiten, gibt es kein Problem, das sich nicht lösen lässt“, sagt sie. „Koordination und Kommunikation sind der Schlüssel zum Erfolg.“  

Griffin ist der Meinung, dass Programme, die junge Frauen schon früh an die Baubranche heranführen, das Bewusstsein der Frauen für ihre Möglichkeiten hinsichtlich verschiedener Berufsbilder fördern könnten. Als sie bei McHugh anfing, war sie begeistert, dass Patty McHugh Mittagessen mit Gastredner:innen organisiert, um den Frauen des Unternehmens die Möglichkeit zu bieten, sich gegenseitig kennenzulernen.  

Griffin liebt es, zu Beginn eines Bauvorhabens alle Dokumente und Pläne zu sehen und dann zu beobachten, wie das Team das Gebäude Realität werden lässt. Wenn sie gerade nicht arbeitet, trifft man sie dennoch draußen im Freien beim Laufen, Wandern oder Reisen.   

Ihr Rat für eine Karriere in der Baubranche: „Nur zu! Ich glaube nicht, dass Sie mehr Schwierigkeiten als in einer anderen Branche haben werden, abgesehen davon, dass man Arbeitshosen für Frauen finden muss und Arbeitsstiefel, die nicht rosa sind. Sie sollten selbstbewusst auftreten, aber auch um Hilfe bitten, wenn Sie etwas brauchen.“  

Lesen Sie weitere inspirierende Erfolgsgeschichten von Frauen in der Baubranche.