Die meisten Baufachkräfte sind sich den Herausforderungen bewusst, die Frauen in dieser Branche bewältigen müssen.
Bei einem Frauenanteil von nur knapp 11 % kann sich die Suche nach Mentor:innen und anderen Formen von Unterstützung für Frauen im Baugewerbe als schwierig erweisen. Angesichts des wachsenden Bedarfs an hochqualifizierten Arbeitskräften müssen Bau-, Ingenieur- und Architekturunternehmen jedoch unbedingt Maßnahmen ergreifen, um mehr Frauen für das Baugewerbe zu gewinnen und sie bei ihrem beruflichen Werdegang zu unterstützen.
Der Cal Poly Women in Construction Club ist stolz darauf, sich für diesen Zweck einzusetzen. Wir haben mit Professorin Stacey Kolegraff darüber gesprochen, wie der Club Studentinnen beim Einstieg in die Baubranche hilft und ihnen Mentor:innen zur Seite stellt.
Häufige Herausforderungen
Der Wunsch, sich für Mentoring einzusetzen, was ihr bei ihrem Einstieg in die Branche auch geholfen hat, habe sie unter anderem dazu inspiriert, die Gründung des Cal Poly Women in Construction Club zu unterstützen, so Kolegraff.
„Ich habe mein Studium 2002 abgeschlossen und hatte eine großartige Dozentin, die mir gleichzeitig eine tolle Mentorin war“, erzählt sie. „Aber auch sie vermittelte mir eine trostlose Vorstellung von meiner Zukunft in der Branche. Sie erklärte mir und vielen anderen jungen Frauen an unserer Fakultät, dass es in der Arbeitswelt Regeln gäbe, die man befolgen müsste, um erfolgreich zu sein. Man darf niemals über seine Familie oder sein Privatleben sprechen. Man sollte sich nie anders kleiden als seine männlichen Kollegen. Kleider und Röcke sind keine passende Arbeitskleidung. Im Grunde ist man geschlechtslos.“
Laut Kolegraffs Mentorin könne eine zu ausgeprägte Identifizierung mit der eigenen Weiblichkeit auf der Baustelle dazu führen, dass man nicht ernst genommen wird. „Sie meinte, dass man dann nicht mehr als gleichwertiger Kollege gesehen wird, sondern nur noch als ‚weibliche Kollegin‘“, so Kolegraff.
Im Laufe ihrer Karriere hat Kolegraff diese Regeln größtenteils befolgt, um ihre Karriere voranzutreiben. „Ich war erfolgreich“, berichtet sie. „Ich habe Baustellen besucht. Ich habe mich angezogen wie die männlichen Kollegen. Als Kind war ich ein burschikoser Wildfang und Röcke habe ich sowieso nie getragen, also gehörte ich dazu. Man hat nur zwei Optionen: Entweder man passt sich an oder man geht unter. Natürlich passt man sich dann an.“
Doch als sie anfing, die Nachwuchstalente des Baugewerbes zu unterrichten, wusste Kolegraff, dass diese Ratschläge veraltet waren. „Ehrlich gesagt war ich sehr einsam“, gibt sie zu. „Ich konnte mit niemandem reden. Man kam zur Arbeit und durfte dort nie wirklich man selbst sein. Man kann nicht authentisch sein, weil man diesen Teil seiner Persönlichkeit versteckt“.
Kolegraff erkannte, dass ihre Studentinnen bessere Arbeitsbedingungen verdienten. Sie wollte sie auf ihrem Weg zu einer Karriere in der Branche, die sie liebt, unterstützen und ihnen helfen, im Baugewerbe erfolgreich zu sein, ohne ihre Authentizität aufgeben zu müssen.
Vorbereitung der Studentinnen auf das Berufsleben
Obwohl sie sich während ihrer gesamten Laufbahn für die individuelle Förderung von Studentinnen eingesetzt hatte, hätte Kolegraff nie gedacht, dass sie einmal Studienberaterin einer Vereinigung für Frauen im Baugewerbe sein würde.
„Als ich Bauleitung studiert habe, war ich eigentlich gegen Verbände dieser Art“, meint sie. „Ich wollte nicht als Frau in der Baubranche gesehen werden. Ich wollte immer nur eine Person in der Branche sein. Daher war es für mich schwer, diese Einstellung zu hinterfragen und die Bedürfnisse, die die Frauen ansprachen, wirklich zu verstehen. Ich musste zunächst meine eigenen Probleme bewältigen.“
Ausschlaggebend für Kolegraffs Entschluss war letztlich das Feedback, das sie von ihren ehemaligen Studentinnen erhielt.
„Ich unterrichtete bereits seit einigen Jahren in diesem Fachbereich, als einige meiner ehemaligen Studentinnen zurückkehrten und von den Herausforderungen berichteten, die sie in der Branche meistern mussten“, so Kolegraff. „Diese Geschichten hörte ich auch von meinen Praktikumsstudentinnen. Die meisten unserer Studentinnen absolvierten im Sommer ein Praktikum. Viele von ihnen berichteten anschließend von unschönen Erlebnissen und sie wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten.“
Zwar berichteten die Studentinnen, dass sie selten Opfer von expliziter Diskriminierung oder sexueller Belästigung wurden. Die subtileren Formen des „Othering“, denen sie ausgesetzt waren, verunsicherten sie jedoch und sie wussten nicht, wie sie reagieren sollten. „Ich würde sagen, dass es nur in wenigen Fällen zu offensichtlicher Diskriminierung kam“, erläutert Kolegraff. „Es gab unzählige kleinere soziale Verhaltensunterschiede, deren Auswirkungen den Männern wahrscheinlich gar nicht bewusst waren. Für unsere Studentinnen waren diese kleinen Unterschiede jedoch deutlich spürbar. Sie mussten erkennen, dass ihnen dadurch Chancen vorenthalten wurden.“
Kolegraff erkannte, dass sie in ihrer Rolle als Mentorin und Ausbilderin einen Ort schaffen konnte, an dem sich Studentinnen beraten lassen und sich auf die Herausforderungen der Arbeitswelt vorbereiten können. „Mir wurde bewusst, dass wir ein besseres Supportangebot brauchen“, sagt sie. Viele Menschen sind von diesen Ausgrenzungen betroffen. Gemeinsam können wir eine Support-Community aufbauen, in der die Studentinnen sich gegenseitig bei der Bewältigung der Herausforderungen und Probleme, mit denen sie konfrontiert werden, helfen können. So wissen sie, dass sie nicht allein sind.“
Mehr als nur ein Club
Von Anfang an legte Kolegraff großen Wert darauf, die Mitglieder des Women in Construction Clubs beim Erwerb konkreter, praxisbezogener Kompetenzen zu unterstützen. „Ich forderte unsere Vorsitzenden auf, den Club nicht nur als soziale Einrichtung zu gestalten“, erklärt sie. „Der Fokus sollte auch auf der Vermittlung von Kompetenzen liegen. Wir sind hier, um unsere Anliegen anzusprechen, aber auch, um alle Menschen, nicht nur Frauen, in unserem Fachbereich zu unterstützen.“
Mit Kolegraffs Unterstützung konzentriert sich der Club nun auf das Thema Kompetenz, führt Workshops zum Thema Lebenslauf und Professionalität durch und versucht, den Mitgliedern beizubringen, wie man Pläne und Zeichnungen liest und viele weitere wichtige berufliche Fähigkeiten entwickelt und verbessert. Jedes Semester werden Ausflüge zu großen Bauunternehmen in der Umgebung des Campus der Cal Poly (California Polytechnic State University), in der San Francisco Bay Area und in anderen Regionen unternommen. Die Mitglieder nutzen diese Fähigkeiten und die Kontakte, um die nächste Generation von weiblichen Führungskräften im Bauwesen zu inspirieren.
„Wir haben einen Tagesausflug mit den örtlichen Pfadfinderinnen organisiert und weiterführende Schulen besucht, um Karrieremöglichkeiten vorzustellen“, so Kolegraff. „Wir legen großen Wert auf Mentoring für alle und wollen eine dauerhafte Partnerschaft mit unserer Community aufbauen. Das Engagement nimmt jedes Jahr zu. Diese erstaunliche Gruppe von Frauen hat die Führung dieses Clubs übernommen, Mentorenprogramme sowie Schulungen und Seminare entwickelt und zur allgemeinen Vernetzung innerhalb der Fakultät beigetragen und dadurch das Selbstvertrauen der Studentinnen gestärkt.“
Laut einer Studie von Reagan Milligan, einem Mitglieder des Women in Construction Clubs, trägt diese positive Entwicklung bereits erste Früchte. „Sie stellte fest, dass das Selbstvertrauen zunimmt“, berichtet Kolegraff. „Bei allen Clubmitgliedern war eine Steigerung des Selbstbewusstseins und ein stärkeres Gefühl der Zugehörigkeit zu verzeichnen.“ Sie sammelten großartige Erfahrungen und hatten das Gefühl, dass dieser Club für sie von großem Nutzen war.“
Die ersten Jahrgänge des Women in Construction Clubs haben ihr Studium inzwischen abgeschlossen und beeindruckende Karrieren in großen Bauunternehmen aufgebaut. Oft haben sie an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen Selbsthilfegruppen oder Mentorenkreise gegründet. Kolegraff ist stolz auf das von ihr mitgestaltete Vermächtnis. Sie hofft, dass ihre Bemühungen als Vorbild für die gesamte Branche dienen.
„Die Branche hat sich in den letzten 20 Jahren verändert, weil die Menschen sich untereinander ausgetauscht haben“, betont sie. „Es gibt jetzt mehr Unterstützung. Wir brauchen mehr Frauen. Frauen sind überaus talentiert. Diese Tatsache wird inzwischen allgemein anerkannt. Clubs dieser Art konzentrieren sich nicht nur darauf, auf Frauen im Baugewerbe und ihre Stärken aufmerksam zu machen. Wir lernen auch zusammen und unterstützen uns gegenseitig. Wir wollen über das Geschlechterverhältnis im Baugewerbe sprechen und darüber, wie wir ein inklusives Arbeitsumfeld schaffen und eine entsprechende Kommunikation aufbauen können.“