Würden Sie Lebensmittel kaufen, ohne das Etikett zu lesen? Wahrscheinlich nicht. Anhand von Nährwertangaben können Verbraucher fundierte Entscheidungen über Kalorien, Zutaten und Portionsgrößen treffen. Sie bieten Verbrauchern ein Mindestmaß an Transparenz darüber, was sie zu sich nehmen.
Das gleiche Maß an Transparenz hält nun auch im Baugewerbe Einzug. Die Umweltproduktdeklaration EPD funktioniert wie die Kennzeichnung von Nährwerten, ist aber für Bauprodukte. Sie liefert standardisierte Informationen über den ökologischen Fußabdruck eines Produkts und gibt Architekten, Ingenieuren und Bauunternehmern wichtige Daten zur Bewertung der Nachhaltigkeit während der Entwurfs- und Bauphase.
Da die Bauindustrie immer stärker dazu angehalten wird, den Kohlenstoffdioxidgehalt zu reduzieren und verantwortungsvoller zu wirtschaften, werden EPDs zu unverzichtbaren Werkzeugen. Aber was genau sind sie, wie funktionieren sie und warum ist dies für die Baubranche relevant?
Definition von EPD
EPDs sind von Dritten verifizierte Dokumente, die die Umweltauswirkungen eines Produkts auf der Grundlage seiner Ökobilanz (Life Cycle Assessment, kurz: LCA) zusammenfassen. EPDs wurden ursprünglich in den 1990er Jahren in Schweden entwickelt und haben mit der Ausweitung von Nachhaltigkeitsstandards und Green-Building-Zertifizierungen weltweit an Bedeutung gewonnen.
EPDs sollen Klarheit über den CO₂-Fußabdruck eines Materials und dessen Umweltauswirkungen über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg bieten – von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung und Verwendung bis hin zur Entsorgung.
„EPDs ermöglichen es Planungsteams, fundierte Entscheidungen über Materialien und ihre Auswirkungen auf den Planeten zu treffen“, so Jon Penndorf, Studio Director of Regenerative Design bei Perkins & Will. „Das Mehr an Transparenz können wir mit Endnutzern und Eigentümern teilen, um ihnen zu helfen, die Geschichte ihres Gebäudes zu entwickeln.“
Dabei geht es aber nicht nur um Umweltschutz. In vielen Fällen ist es auch eine Möglichkeit, bestimmte Leistungsziele zu erreichen, Zertifizierungen wie LEED und BREEAM einzuhalten und ein Projekt in einem wettbewerbsintensiven Markt herauszustellen.
EPDs sind nicht gleich EPDs
EPDs bieten zwar wertvolle Daten über das Umweltprofil eines Produkts, aber man darf dabei nicht vergessen, dass das Vorhandensein einer EPD nicht automatisch bedeutet, dass ein Produkt besser für den Planeten ist.
„Nur weil ein Produkt eine EPD hat, bedeutet das nicht, dass es aus klimatischer Sicht ökologisch besser ist als Alternativprodukte“, so Penndorf.
Eine EPD signalisiert lediglich, dass der Hersteller den Prozess der Messung und Offenlegung von Umweltdaten durchlaufen hat. Diese Transparenz ist wertvoll, aber keine Garantie für geringe Umweltauswirkungen. Um zu beurteilen, ob ein Produkt wirklich die bessere Option ist, sind immer noch Kontext, Vergleiche und oft zusätzliche Zertifizierungen oder Datenquellen erforderlich.
„Eine EPD besonders in Kombination mit anderen Transparenzdaten wie gesundheitsbezogenen Produktdeklarationen und Materialzertifizierungen durch Dritte, wie Greenguard und Cradle to Cradle, ermöglicht ein ganzheitliches Verständnis der Auswirkungen eines Produkts“, fügt Penndorf hinzu.
Zweck von EPDs
EPDs werden immer wichtiger für Nachhaltigkeitsstrategien, vor allem deshalb, weil der Bausektor versucht, seinen Anteil am Klimawandel zu reduzieren. Baustoffe und Abläufe während des Bauprozesses sind für einen erheblichen Teil der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortlich. Die Wahl von Produkten mit geringerem Kohlenstoffgehalt kann die Umweltauswirkungen eines Projekts erheblich senken.
„Mit EPDs können Hersteller auch nachweisen, wie sie die CO₂-Bilanz ihrer Produkte verbessern, was dazu beitragen kann, den Markt in Richtung einer geringeren CO₂-Belastung zu bewegen“, so Penndorf weiter.
Was macht eine EPD glaubwürdig?
Um in realen Projekten zuverlässig und nutzbringend eingesetzt werden zu können, muss eine EPD bestimmte Glaubwürdigkeitsstandards erfüllen:
- Einhaltung der ISO-Normen: EPDs müssen standardisierte internationale Verfahren für Ökobilanzen befolgen.
- Einhaltung der Produktkategorieregeln (PCRs): Diese definieren, wie Ökobilanzen für verschiedene Arten von Produkten durchgeführt werden, und sorgen für einheitliche Standards innerhalb der Kategorien.
- Zertifizierung durch Dritte: Diese sorgen für eine zusätzliche Ebene der Unparteilichkeit und Glaubwürdigkeit.
- Definition der Funktionseinheit: EPDs sollten die Messgrundlage klar angeben, z. B. „pro Quadratmeter“ oder „pro Kilogramm“.
- Definierte Produktlebenszyklusphasen: Das Dokument sollte den Umfang der Analyse beinhalten und klar angeben, ob diese nur die Produktion (cradle to gate), die vollständige Nutzung (cradle to site) oder den gesamten Lebenszyklus (cradle to grave) umfasst.
„Sämtliche dieser Angaben müssen bekannt sein, um die Bewertung nachvollziehen zu können und die Daten zur Ermittlung der Auswirkungen eines Materials anhand seiner Menge in einem Entwurf korrekt einzusetzen“, erklärt Penndorf.
Mit den Lebenszyklusphasen können Projektteams besser nachvollziehen, worauf sich die Analyse bezieht und wie sie zu den übergeordneten Umweltzielen des Projekts passt. Wenn beispielsweise bei einem Projekt die Recyclingfähigkeit am Ende der Lebensdauer oder die Wartungskosten im Vordergrund stehen, ist eine EPD, die sich auf die Cradle-to-Gate-Analyse beschränkt, nicht ausreichend.
Bestmöglicher Einsatz von EPDs
EPDs liefern zwar wertvolle Daten, doch ihr Einsatz erfordert ein gewisses Maß an Sorgfalt. Der erste Schritt besteht darin, die Authentizität und den Umfang des Dokuments genau anzusehen. Prüfen Sie, ob es von einem akkreditierten Dritten überprüft wurde und ob es noch gültig ist. EPDs haben in der Regel eine Gültigkeitsdauer von fünf Jahren.
Es ist auch wichtig, die Entstehungsgeschichte der EPD im Detail zu betrachten. Nicht alle EPDs werden unter Verwendung der gleichen Annahmen, Methoden oder Funktionseinheiten erstellt, was direkte Vergleiche erschweren kann.
„Der Vergleich von EPDs, die mit unterschiedlichen Methoden, Ökobilanzen oder PCRs erstellt wurden, ist eine Herausforderung“, so Penndorf. „Für einen aussagekräftigen Vergleich muss man sich über die Einsatzbedingungen eines Produkts oder Materials im Klaren sein.“
Mit anderen Worten: Gehen Sie nicht davon aus, dass eine niedrigere Kohlenstoffangabe in einer EPD bedeutet, dass dieses Produkt das bessere ist. Unterschiedliche Angaben können den Vergleich verzerren. Selbst Produktvarianten können die Gebrauchseigenschaften beeinflussen.
„Zum Beispiel kann eine EPD die Auswirkungen der Vliesisolierung dokumentieren“, so Penndorf. „Aber die gleiche Vliesisolierung kann es in unterschiedlichen Stärken geben oder mit Papier- oder Folienunterlage. Jede Variante muss berücksichtigt werden, damit das Produkt auch das gewünschte Ergebnis erzielen kann.“
EPDs, Kunden und Bauvorschriften
Von vielen Architekten und Bauunternehmern wird heute erwartet, dass sie die Umweltleistung in den Entwürfen für Ihre Kunden berücksichtigen. Unabhängig davon, ob ein Kunde EPDs speziell verlangt oder nicht, kann die Einbeziehung in den Spezifikationsprozess als Beweis für einen durchdachten Entwurf, die Einhaltung von ESG-Rahmenwerken und die Unterstützung grüner Zertifizierungen dienen.
Trotzdem hat nicht jedes Produkt auch eine EPD. Tatsächlich veröffentlichen viele Hersteller solche Angaben überhaupt nicht – manchmal aufgrund firmeneigener Inhaltsstoffe, einer komplexen Produktzusammensetzung oder mangelnder interner Fachkenntnisse im Bereich der Lebenszyklusbewertung.
„Das kann daran liegen, dass die Produkte komplex sind mit vielen Materialien und Teilen. Oder der Hersteller möchte keine Informationen über die Inhaltsstoffe veröffentlichen, weil sie ein Firmengeheimnis sind.“
Für Projektteams, die vollständige Lebenszyklusbewertungen von Gebäuden durchführen oder den gesamten CO₂-Ausstoß reduzieren möchten, kann das Fehlen von EPDs ein Problem darstellen. Unter diesen Umständen entscheiden sich Fachkräfte möglicherweise für Hersteller, die eine EPD veröffentlichen, da das sowohl die Spezifikation vereinfacht als auch umfassendere Nachhaltigkeitsziele unterstützt.
Darüber hinaus verlagern sich die Regulierungen zunehmend in Richtung Transparenz. In mehreren Ländern enthalten die Bauvorschriften nun Vorschriften zur Energieeffizienz und Umweltfreundlichkeit. EPDs können dazu beitragen, diese regulatorischen Vorgaben zu erfüllen und die Zukunftsfähigkeit angesichts sich weiterentwickelnder Standards sicherzustellen.
„Darüber hinaus haben viele Länder und Regionen festgelegt, dass neue Gebäude jetzt bestimmte Energieeffizienzniveaus erreichen oder umweltfreundliche Materialien verwenden müssen“, so Penndorf. „Da die Bauvorschriften immer strenger werden, wird die Verwendung von EPDs wahrscheinlich zunehmen.“
In Zukunft mehr Transparenz
Die Bauindustrie steht unter Druck – durch Behörden, Kunden und Umweltbedingungen selbst – verantwortungsbewusstere Entscheidungen bei Materialien und Verfahren zu treffen. EPDs bieten einen klaren Weg in die Zukunft.
Auch wenn sie derzeit noch nicht für jedes Projekt vorgeschrieben sind, werden EPDs zunehmend zu einer Grundvoraussetzung für nachhaltiges Bauen. Aus ihr erhalten Fachkräfte die Informationen, die sie zur Reduzierung von CO₂-Emissionen, zur verantwortungsbewussten Auswahl und zum Nachweis der Umweltauswirkung benötigen.
Aber EPDs sind kein Allheilmittel. Sie sind ein entscheidendes Hilfsmittel für alle, die sich für ein intelligenteres, saubereres und bewussteres Bauen einsetzen.
Egal, ob Sie an einem Neubau, einer Sanierung oder einer Modernisierung arbeiten: Sie sollten ab sofort unbedingt die Etiketten lesen.