Architekt:in A.L. Hu

Eine nicht binäre Person, die als Architekt:in arbeitet, rüttelt am Status Quo der Branche

A.L. Hu wünscht sich mehr Inklusion in der Architekturbranche und setzt sich entschlossen für Verbesserungen ein.

Wer die Website a-l.hu von A.L. Hu, Architekt:in, Aktivist:in und Organisator:in öffnet, sieht eine Seite mit vier Zeilen, die statischen und scrollenden Text enthalten. Unter dem Namen in der ersten Zeile heißt es in der zweiten: „I am a“ und daneben scrollen Begriffe wie „glittery person“ (schillernde Person), „curious activist“ (neugierige:r Aktivist:in), „feminist cat-person“ (feministische:r Katzenfreund:in), „non-binary designer“ (nicht binäre:r Architekt:in) und „organizer“ (Organisator:in).

In der dritten Zeile sind Dinge aufgelistet, die Hu wichtig sind, wie „inclusive equity“ (inklusive Gleichstellung), „queer spaces“ (Räume für queere Menschen), „queer representation“ (Repräsentation queerer Personen) und „gender architecture“ (Gender-Fragen in der Architektur). Die vierte Zeile verlinkt auf Hus Twitter-Profil.

Identität ist ein wichtiges Thema für Hu, eine queere, nicht binäre Person, die in New York City arbeitet. Hu ist als Design Initiatives Manager bei der Ascendant Neighborhood Development Corporation tätig, einer Organisation, die bezahlbaren Wohnraum schafft und sich für die Menschen in East und Central Harlem einsetzt. Hu hat im Oktober 2019 im Rahmen eines zweijährigen Enterprise Rose Fellowships bei Ascendant angefangen. Die gemeinnützige Organisation Enterprise hat dieses Stipendienprogramm ins Leben gerufen, um vielversprechende Architekt:innen mit Organisationen zusammenzubringen, die eine soziale Stadtentwicklung fördern.

Neben dem Job ist Hu Gründungsmitglied von Design As Protest, einer Gruppe antirassistischer Architekt:innen, die sich für mehr Inklusion in der Branche einsetzen. Zudem hat Hu mit Queeries eine Initiative ins Leben gerufen, die queeren Architekt:innen eine Stimme und die Möglichkeit gibt, ihre Erfahrungen und Gefühle zu teilen. Hu ist auch aktives Mitglied von Organisationen wie The Architecture Lobby, QSPACE, ArchiteXX und AIA New York.

Durch dieses Engagement entwickelt sich Hu zu einer wichtigen Stimme in der Architekturbranche und nutzt die gewonnene Präsenz, um für nötige Veränderungen und Inklusion zu werben. Aber es wäre alles ganz anders gekommen, wenn der Wirtschaftskurs an der Uni nicht so langweilig gewesen wäre.

„Ich hatte einen wirklich tollen Wirtschaftslehrer an der High School. Deshalb beschloss ich, mich an der University of California in Berkeley für Wirtschaftswissenschaften zu bewerben. Ich wurde auch angenommen, aber dann schlief ich schon im ersten Kurs fast ein“, so Hu. „Auf der Suche nach einem neuen Hauptfach stieß ich auf einen Einführungskurs für Architektur. Ich schrieb mich ein und war begeistert von der Kreativität und der Freiheit, die dieses Fach bietet, also blieb ich dabei.“

Annehmen der eigenen Identität und Ansprechen von Missständen

2012 beendete Hu das Studium mit einem Abschluss im Bereich nachhaltige Architektur, ging nach San Francisco, um in einem auf Wohnbauten spezialisierten Architekturbüro zu arbeiten, und wurde zwei Jahre später an der Graduate School of Architecture, Planning and Preservation der Columbia University in New York angenommen. Der Umzug ans andere Ende des Landes, um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, hat Hu die Augen geöffnet. Den Unterschied bemerkte Hu beinahe vom ersten Augenblick an sich selbst.

„Ich hatte mein Haar immer sehr lang getragen. Ich hatte das Gefühl, mich dahinter verstecken zu können, um mich von der Welt und die Welt von mir abzuschirmen“, sagt Hu. „Aber als ich mit dem Master anfing, habe ich mir die Haare kurz schneiden lassen. Ich hatte das Gefühl, meine Komfortzone verlassen zu müssen.“

Das tat Hu dann auch – und zwar im großen Stil.

Schon im ersten Semester wurde Hu in die Studierendenvertretung gewählt und damit gezwungen, eine öffentliche Rolle an der Universität einzunehmen. In dieser Rolle arbeitete Hu auch oft mit Gewerkschaften zusammen, um sich für die Rechte und eine faire Bezahlung der Doktorand:innen einzusetzen. Im Sommer zwischen dem ersten und zweiten Jahr in New York outete sich Hu als nicht binär.

„Ich erkannte, dass ich mich nicht als Frau identifiziere, und ich denke, dass diese Erkenntnis auch viel mit meiner Herangehensweise an Architektur zu tun hatte“, so Hu. „Dieser Schritt hat mich dazu gebracht, über den Tellerrand hinauszublicken und zu verstehen, dass es nicht nur einen einzigen richtigen Weg gibt, in der Architekturbranche zu arbeiten.“


EBENFALLS AUF BUILT:


Adriana Barcenas Rojas, eine von Hus Kommilitoninnen im Masterstudiengang und heute ebenfalls Teil des Kollektivs „Design As Protest“, schätzte Hus bewusste Infragestellung des Fachgebiets während ihrer gemeinsamen Zeit an der Columbia University.

„Ich erinnere mich, wenn Konflikte auftauchten – Probleme im Berufsfeld – war A.L. immer proaktiv und setzte sich dafür ein, dass sich Situationen zum Besseren verändern“, so Rojas. „A.L. hat sich nie gescheut, der Univerwaltung klar zu machen, dass es Probleme gibt, die angegangen werden müssen.“

Eines der Hauptthemen, mit denen sich Hu während des Studiums auseinandersetzte, war das Studiomodell in den Kursen vieler Architekturstudiengänge und wie das Modell dazu führen kann, dass sich einige Studierende nach ihrem Abschluss von diesem Beruf abwenden.

„In einem Studio ist man mit einer Gruppe von vielleicht 12 anderen Studierenden und einem Dozenten zusammen, der versucht, den Studierenden eine bestimmte Arbeitsweise beizubringen“, so Hu. „Ich habe mich dagegen gewehrt, weil ich glaube, dass es im Architekturberuf keine Einheitslösung gibt. Ich bin überzeugt, dass es im Master und generell in der Architekturausbildung darum gehen sollte, dass die Studierenden ihre eigenen Prozesse finden, statt nur zu versuchen, alle Regeln einzuhalten.“

Vorantreiben des Wandels

Heute ist Hu begeistert, bei der Arbeit für Ascendant sowohl Gemeinschaftssinn und eine persönliche Leidenschaft für das Organisieren ausleben als auch die eigenen Architekturkenntnisse einbringen zu können. Und die Organisation ist froh, Hu an Bord zu haben.

„Abgesehen von A.L. gibt es in unserem Team keine Architekt:innen. Hu hat sich mit vielfältigen Fähigkeiten in unser internes Team eingebracht. A.L. im Team zu haben, ist für uns eine enorme Bereicherung“, so Christopher Cirillo, Geschäftsführer von Ascendant. Er hoffe, dass Hu nach dem Auslaufen des Stipendiums eine Vollzeitstelle in seiner Organisation antreten werde. „A.L. ist sehr kooperativ und setzt auf Teamarbeit. Mit einer nicht traditionellen Sicht auf den Architekturberuf bewirkt Hu gewissermaßen einen Umbruch und das ist genau das, was die Branche braucht.“

Hu hat zahlreiche Ideen, um den Beruf für die verschiedensten Menschen inklusiver zu gestalten. Hier sind einige davon: 

Veränderung des Studiomodells in Masterstudiengängen

„Im Studium ist die Branche kein sehr einladender Ort für nicht binäre Menschen. Ein Grund ist das Studiomodell an den Universitäten“, so Hu. „Es ist ein Kritikmodell, das eine Kultur fördert, in der Studierende Ausbeutung im Beruf als normal betrachten. An der Uni gibt es regelmäßige Kritikrunden und wir sind gezwungen, Projekte immer wieder zu überarbeiten und negatives Feedback zu verinnerlichen, sogar am Ende des Semesters.“

„Dadurch entsteht ein toxisches Umfeld, in dem alle miteinander konkurrieren“, so Hu weiter, „und das hat schreckliche Auswirkungen auf unsere physische und psychische Gesundheit. Dieses Modell erzeugt ein ständiges Gefühl der Angst. Für nicht binäre Menschen ist es noch schwieriger, ihre Ideen auszudrücken, weil ihnen vielleicht andere Themen wichtiger sind als die, die in der Ausbildung thematisiert werden.“

Verbesserung des Zugangs zur Architekturausbildung

„Selbst wenn die Ausbildung besser wäre, stellt sich die Frage, wer Zugang zu einer Architekturausbildung hat“, sagt Hu. Wer wächst mit dem Gedanken auf, Architektur zum Beruf zu machen? Und wer hat Zeit, Tag und Nacht in einem Studio zu verbringen, und muss nicht noch nebenher Geld verdienen? Wer hat das Geld für ein Masterstudium? All das sind Fragen, die wir uns stellen und angehen müssen, damit sich der Zugang zum Architekturstudium für alle Menschen verbessert.“

Einführung von Kennzahlen für Vielfalt

„Mehr Informationen über Architekt:innen im Beruf wären super hilfreich, um die Repräsentation zu fördern“, sagt Hu. „Was sind unsere Kennzahlen für Erfolg in diesem Fachgebiet? Und wie werden diese Daten erhoben?“

Verstärkter Fokus auf beruflicher Weiterentwicklung

„Aus meiner Sicht sollte die proaktive berufliche Weiterentwicklung, besonders für jüngere Architekt:innen, die gerade in den Beruf einsteigen, stärker im Blickpunkt stehen“, so Hu. „Es wäre hilfreich, wenn es Menschen gäbe, die Berufsanfänger:innen als Ansprechpartner:innen und Mentor:innen zur Seite stehen.“

Nutzung von Machtpositionen, um anderen zu helfen

„Wenn Sie in Ihrem Unternehmen eine Machtposition haben, nutzen Sie Ihr Privileg, um sich für andere einzusetzen“, sagt Hu. „Architektur ist immer noch ein Beruf, der von weißen Cis-Männern dominiert wird, sodass sämtliche Macht in ihren Händen konzentriert ist. Ich halte es für wichtig, diese Macht breiter zu streuen und zu nutzen, um andere zu fördern.“