Secret Sky mit eigenen Augen zu sehen, ist ein ganz besonderes Erlebnis.
Versteckt auf einem Feld im ländlichen Michigan sieht diese massive Konstruktion auf den ersten Blick wie alle anderen jahrhundertealten Scheunen aus, die diese idyllische Landschaft zieren. Betrachtet man das Gebäude jedoch aus dem richtigen Winkel, kommt eine überraschende Öffnung zum Vorschein. Die Scheune verfügt nämlich über einen besonderen Schlitz, der an eine grazile Origamifalte erinnert und ein perfektes Fragment des Himmels enthüllt.
Für die Künstlerin und Architektin Catie Newell ist Secret Sky Teil einer umfassenderen Praxis, Bedeutung aus ungeahnten Wiederentdeckungen der konventionell gebauten Umwelt zu gewinnen. Im Rahmen ihrer Arbeit lotet sie die Möglichkeiten des Architekturberufs neu aus und erkundet spielerisch die Grenzen der Baukunst.
Verschmelzung von Kunst und Architektur
Newell beschreibt ihren einzigartigen Ansatz, Architektur und Installationskunst miteinander zu verbinden, als „eine Art verworrenes Durcheinander, aus dem etwas Neues entsteht“. Sie fährt fort: „Ich bin ausgebildete Architektin und habe als Angestellte in anderen Architekturbüros gearbeitet, bevor ich anfing, mich meinen eigenen Projekten zu widmen. Oft habe ich das Gefühl, dass unsere Arbeit bei Alibi Studio beiden Kategorien zugeordnet wird.“
Newells Einstieg in die künstlerische Praxis war teilweise aus der Notwendigkeit heraus geboren. Zu Beginn ihrer Karriere arbeitete sie in einer Stadt, die noch immer unter dem Schock der Immobilienkrise von 2008/09 stand und unter dem darauffolgenden wirtschaftlichen Abschwung litt. Aufgrund mangelnder Kundenaufträge und Bauförderung suchte Newell nach Möglichkeiten, Neues zu schaffen, und setzte sich schließlich mit bereits bestehenden Strukturen auseinander.
„Ich beschloss, Gestaltungsprojekte zu finden, bei denen ich mir meine Zeit und Energie selbst einteilen konnte“, so Newell. „Es gab damals so oder so keine Finanzierungsmöglichkeiten für neue Projekte. Also habe ich mich mit bestehenden Räumen beschäftigt, die sozusagen ausgedient hatten und Potenzial für neue Möglichkeiten boten, wie verlassene Häuser oder stillgelegte Garagenplätze. Manche davon waren mit Brettern vernagelt und wurden offensichtlich seit langer Zeit nicht mehr betreten.“
Vorhandenen Strukturen neues Leben einzuhauchen, wurde schnell zu einem zentralen Bestandteil von Newells architektonischer Praxis.
„Unsere bestehenden Räume sind uns ein großes Anliegen“, so Newell. „Bei einem Projekt dieser Art begeben wir uns zunächst einmal zum Objekt, reinigen es und prüfen, inwiefern Reparaturbedarf besteht. Manche Bauwerke sind nicht mehr wasserdicht, andere strukturell instabil. Wir arbeiten mit dem Raum, um ihn zu erfassen und herauszufinden, was er uns bietet. Dann versuchen wir, eine Vision zu entwickeln. Was ist bereits da? Welche naheliegenden, aber doch überraschenden Wendungen könnte die Geschichte des Objekts noch nehmen? Ich würde sagen, Secret Sky verkörpert diesen Gedankenprozess wunderbar.“
Die Entstehung von Secret Sky
Newells kreative Arbeit mit der bebauten Umwelt machte sie zur perfekten Partnerin für das Projekt Barn Art des Greater Port Austin Art & Placemaking Fund in Michigan. Dabei werden Schuppen in Kunstwerke verwandelt, um landschaftliche Akzente für die Bewohner:innen von Port Austin zu schaffen.
„Ich war von diesen Strukturen total begeistert“, verrät Newell. „Uns war es wichtig, die typische Scheunenform zu erhalten und auf ihr aufzubauen. Das Projekt und die zugrunde liegende Idee sollte auf der Tatsache gründen, dass diese Scheunen verfallen und verkommen waren, eingestürzt sind oder abgerissen und erneuert wurden. Wir wollten die besonderen Wechselwirkungen zwischen der Struktur und ihrer Umgebung würdigen: Das wechselnde Licht und sogar die sich wandelnde Feldlandschaft sollte das Erscheinungsbild des Gebäudes direkt beeinflussen.“
Newell wollte eine Öffnung in der Scheune erzeugen, durch die das Gebäude auf dynamische Weise mit dem Licht interagiert. „Für uns war es wichtig zu überlegen, wie wir die Scheune räumlich neu interpretieren können“, so Newell. „Wir wollten also nicht nur einen einfachen Schnitt machen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes einen neuen Raum schaffen.“
Nach zahlreichen Experimenten entschlossen sich Newell und das Team dazu, eine Art Durchgang zu erzeugen. „Es sollte ein dreidimensionaler Durchgang sein, der sich durch die Scheune zieht, aber nicht direkt in die Scheune hineinführt“, erläutert sie. „Man ist ständig im Freien. Das ist im Grunde eine einfache Sache, aber sehr schwierig umzusetzen.“
Raffinierte Konstruktionsmethoden
Obwohl Secret Sky heute mühelos und elegant wirkt, war der Bau ein äußerst umfangreiches technisches Unterfangen. In Zusammenarbeit mit örtlichen Ingenieur:innen und Auftragnehmer:innen gelang es Newell jedoch, ihre Vision zu verwirklichen.
„Hinter der Umgestaltung und Einarbeitung des Schnitts steckt eine Menge Arbeit“, erzählt sie. „Wir mussten zwei Hauptträger durchtrennen und an der Stelle, an der sich eine Säule befand, eine neue Stütze errichten. Es dauerte etwa zweieinhalb Jahre, bis das Projekt abgeschlossen war.“
Bevor sie mit der Umsetzung des Schnitts begann, stützte sich Newell auf ihre Erfahrung als Instandhalterin alter Gebäude, um die Umgestaltung möglich zu machen. „Secret Sky knüpfte an unsere Instandhaltungstätigkeiten an“, erklärt sie. „Es waren einige Renovierungsarbeiten notwendig: Ein Teil des Fundaments bröckelte, eine der Säulen war von Riesenameisen zerfressen worden. Wir erneuerten den Rahmen für den Schnitt und das Fundament darunter. Dabei haben wir versucht, so viel Material wie möglich wiederzuverwenden.“
Nach und nach nahm das Projekt Gestalt an und die neuen Formen vereinigten sich. „Erst in den letzten Monaten vor der groben Fertigstellung des Projekts begannen wir, den Schlitz zu öffnen. Dann konnte man auch tatsächlich erst durch ihn hindurchsehen“, schildert sie. „Die Wirkung hat sich unmittelbar entfaltet. Die baulichen Veränderungen haben sich im Laufe der Zeit ins eigentliche architektonische Werk verwandelt, das allmählich nach außen hin Gestalt angenommen hatte.“
Der Prozess der Enthüllung ließ das Objekt buchstäblich in ungeahntem Licht erstrahlen. „In der Nacht entstand ein wunderschöner Lichteffekt, als wir unsere hellen Baulichter eingeschaltet hatten“, erzählt Newell. „Den Leuten hat das Lichtspektakel in der Nacht sehr gefallen.“
Das Team entschied sich dann dazu, Solaranlagen und einen Sensor anzubringen, der sich etwa 45 Minuten nach der Dämmerung einschaltet. „Man kann die Scheune so bei Sonnenuntergang, in der Dämmerung und bei Dunkelheit erleben“, berichtet Newell. „Die Lichter streifen dann etwa zwei Stunden lang durch die Scheune und verwandeln sie in eine Laterne am Himmel oder eine Lichtquelle in der Landschaft.“
Obwohl sich Newell inzwischen anderen Projekten zugewandt hat, darunter die Umwandlung eines jahrhundertealten Sägewerks in einen „geheimen Wald“, liegt ihr das Scheunenprojekt nach wie vor am Herzen.
„Wir experimentieren weiter mit der Scheune“, so Newell.