Diese Innovation aus der Forschung klingt zunächst wie ein Scherz – die Herstellung von Beton mithilfe gebrauchter Windeln. Es handelt sich dabei jedoch um ein reales Projekt, das als Publikation in Scientific Reports Beachtung fand, einer von Expert:innen begutachteten Zeitschrift, die von Nature Portfolio herausgegeben wird.
Forscher:innen der Universität Kitakyushu in Japan haben entsprechende Experimente durchgeführt und herausgefunden, dass zerkleinerte, gereinigte Windeln bis zu 10 % des Verbundmaterials in einer Betonmischung für den strukturellen Einsatz in einstöckigen Gebäuden ersetzen können – und im Fall von nichttragenden und architektonischen Komponenten sogar bis zu 40 %, etwa bei Böden und nichttragenden Wänden.
Allein die Geschichte, wie die Forscher:innen auf diese Idee kamen, ist eine Erzählung wert. Die Forscher:innen – ein Fakultätsmitglied und eine Gruppe Ph.D.-Studierender – hatten an der Einarbeitung von Abfallprodukten in Beton gearbeitet. Zuvor hatten sie bereits mit einigem Erfolg mit Holznebenprodukten und Plastikflaschen experimentiert. Dann erhielten sie einen Anruf.
„Die bisherigen Forschungsbemühungen lockten ein Unternehmen an, das uns finanzieren wollte und uns vor die Herausforderung stellte, Windeln zu nutzen“, so Siswanti Zuraida, Mitautorin und Ph.D.-Studentin aus Indonesien, die eine Woche nach dem Gespräch mit Built ihre Abschlussarbeit verteidigte.
Der Grund war praktischer Natur. Das indonesische Unternehmen Awina Sinergi International ist in den Bereichen erneuerbare Energien und Abfallmanagement tätig. Laut Oxfam liegt Indonesien auf Platz vier der bevölkerungsreichsten Länder der Welt. Für viele Millionen Menschen besteht Bedarf an bezahlbarem Wohnraum.
EBENFALLS AUF BUILT:
So stellten die Autor:innen des Papers fest: „Baumaterialien sind oft der bedeutendste materielle Input beim Bau von Wohnungen und können bis zu 80 % des Gesamtwerts eines einfachen Wohnhauses ausmachen.“ Diese Kosten seien das „erste Hindernis für nachhaltige Bauvorhaben“.
In Ländern, in denen konventionelle Materialien und Bautechniken nötig sind – „von denen die meisten entweder ein Überbleibsel aus der Zeit des Kolonialismus sind oder aus anderen Ländern importiert wurden“ – entstehen zusätzliche finanzielle Hürden. Indonesien hat im Wohnbau bereits einen jährlichen Rückstand von 300.000 fehlenden Wohneinheiten. Aufgrund der wachsenden Bevölkerung verfügt das Land auch über einen wachsenden Vorrat an gebrauchten Wegwerfwindeln. Die Einarbeitung dieser Windeln in Beton hätte drei Vorteile: geringere Baukosten, weniger Abfall, der auf Deponien landet, und strukturelle Vorteile für den Beton, wie etwa eine verbesserte interne Aushärtung und Hydratation.
Die Forschungstätigkeiten begannen im Jahr 2020. „Im Vergleich zu Materialien aus früheren Untersuchungen stellten diese Windeln eine ziemliche Herausforderung für uns dar“, so Zuraida. Die Forschungsgruppe musste Windeln herbeischaffen, von Körperausscheidungen säubern, die Reste waschen, Chemikalien hinzufügen, um die Hygiene zu gewährleisten, und sie dann in kleine Stücke schneiden. Glücklicherweise hatte das Team ein zusätzliches Mitglied, das an der Beschaffungsfront mithelfen konnte. „Ich hatte zu dieser Zeit ein Baby, das jetzt drei Jahre alt ist, und dessen Windeln ich zwei Monate lang gesammelt habe“, so die Forscherin.
Anschließend stellte das Team sechs verschiedene Mischproben aus Windeln, Sand, Kies, Zement und Wasser her, härtete die Proben 28 Tage lang aus und testete dann, wie viel Druck sie aushalten konnten, bevor sie zerbrachen. Anschließend berechneten die Forscher:innen die möglichen Windelanteile, um einen 36 Quadratmeter großen Grundriss zu bauen, der den indonesischen Baustandards entspricht. Dann wurde ein Prototyp gebaut.
Die gute Nachricht: kein Geruch. Zumindest nachdem der Beton ausgehärtet war. Und davor? „Es stank, also mussten wir Masken tragen“, lacht Zuraida.
„Die Partikel[-größe] des Materials hängt von der Haltbarkeit ab“, so Zuraida. Je feiner das Material, desto besser verteilt es sich im Beton. Das war eine Herausforderung bei der Forschung. „Wir haben alles manuell gemacht, also auch die Windeln händisch mit einer Schere zerschnitten. Daher konnten wir die Partikelgröße nicht kontrollieren.“
Es gibt Unternehmen, die Wegwerfwindeln reinigen und verarbeiten, indem sie die organischen Komponenten von den Kunststoffbestandteilen trennen, um die Windeln zu recyclen. Das resultierende Material wird als Biomasse verbrannt, aber die bestehenden Anlagen zur Verarbeitung der Materialien befinden sich alle in wirtschaftsstarken Ländern. Für den Einsatz von Windeln im Baugewerbe in Entwicklungsländern wäre eine lokale Verarbeitung wichtig.
Zudem sind noch weitere Schritte erforderlich, bevor Bauunternehmen diesen Prozess umsetzen können. Für die Verarbeitung der Windeln ist eine chemische Zusammensetzung nötig, die die Forscher:innen entwickelt haben, um die Wasseraufnahme durch die Windeln zu vermindern. Laut Zuraida könnten sich andernfalls nämlich „ Herausforderungen für Länder mit begrenzten Wasserquellen ergeben“.
Doch die Forscher:innen wirken optimistisch und zuversichtlich – sie haben bereits ein Patent angemeldet, obwohl die Prüfung und eine endgültige Vergabe einige Jahre dauern können. Fest steht jedoch, dass der Berg an Windeln mit der Zeit immer weiter wachsen wird.