In allen Bereichen der Gesellschaft werden die Talente und der Wert von Frauen auf eine Weise in Frage gestellt, die nur wenige Männer tolerieren würden – oder könnten.
Frauen, die sich für eine Karriere in der Politik, in der Wirtschaft, in der Kunst- und Unterhaltungsbranche, im verarbeitenden Gewerbe, in der Bauindustrie oder im Ingenieurwesen entscheiden, müssen härter arbeiten als Männer, um gesehen und gehört zu werden und erfolgreich zu sein.
In mancher Hinsicht ändert sich zurzeit einiges, aber auch darüber lässt sich streiten. Viele Frauen, die versucht haben, sich in einer gemeinhin als Männerdomäne bekannten Branche zu behaupten, werden seit Jahren mit Hindernissen konfrontiert, die Männer einfach nicht hinnehmen würden.
Großbritannien hinkt Europa hinterher
Diese Tatsache lässt sich am Beispiel Ingenieurwesen veranschaulichen: Bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gab es kaum Frauen in Ingenieurberufen und selbst danach war erst ein Weltkrieg nötig, um ihr Potenzial sichtbar zu machen.
Mehr als ein Jahrhundert später lässt sich der relative Mangel an Ingenieurinnen aus den Statistiken ablesen. 2018 waren nur 12 % der in Ingenieurberufen Beschäftigten weiblich.
In den in diesem Bereich führenden Ländern Europas – Lettland, Bulgarien und Zypern – liegt der Anteil bei fast 30 %.
Laut der Women’s Engineering Society (WES) waren 2017 15 % der Bachelorstudierenden im Fach Ingenieurwesen in Großbritannien Frauen. In Indien sind es dagegen mehr als 30 %.
Und Frauen, die sich als Ingenieurinnen etablieren konnten, aber anschließend ausgestiegen sind, um zum Beispiel eine Familie zu gründen, haben beim Wiedereinstieg erneut Schwierigkeiten, nicht zuletzt aufgrund vorurteilsbehafteter Einstellungsprozesse, so ein Bericht mit dem Titel STEM: The Hidden Workforce (auf Deutsch etwa: „MINT: Die unsichtbaren Fachkräfte“).
Einige Menschen halten immer noch an der überholten Vorstellung fest, dass das Ingenieurwesen Männern vorbehalten sein sollte. Doch auch wenn stereotype Ansichten weiterhin verbreitet sind, eröffnen sich Frauen, die ihre technischen Talente nutzen wollen, immer mehr Chancen.
Berühmte Ingenieurinnen
Zur Würdigung aller Ingenieurinnen, deren Leistungen in diesem Monat auch im Rahmen des Internationalen Tages von Frauen in Ingenieurberufen (23. Juni) gefeiert werden, möchte Bluebeam einige Frauen vorstellen, die sich in den letzten einhundert Jahren für das Ingenieurwesen entschieden und bewiesen haben, dass sie ihren männlichen Kollegen in nichts nachstehen.
Wir haben Elizabeth Donnelly, Geschäftsführerin der WES, gebeten, uns einige Namen zu nennen, die zwar ihrer Organisation und ihren Mitgliedern bekannt, aber der breiten Öffentlichkeit vielleicht nicht so vertraut sind.
Die erste Person auf Donnellys Liste ist die Pilotin Amy Johnson. Sie hatte vor dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Langstreckenrekorde aufgestellt und wurde 1935 mit erst 32 Jahren die jüngste Präsidentin der WES.
Johnson wurde 1928 Mitglied des London Aeroplane Club und lernte dort zu fliegen und den Motor ihres Flugzeugs zu warten. Für Jack Humphreys, den Chefmechaniker des Clubs, war sie eine „geborene Ingenieurin“.
Die Kriegsarbeit der Frauen wurde nicht gewürdigt
Rachel Parsons und ihre Mutter Lady Katharine Parsons waren Mitbegründerinnen der WES und erste bzw. zweite Präsidentin der Organisation. Zusammen mit einer Gruppe anderer Frauen gründeten die beiden 1921 Atalanta Limited, ein auf weibliche Ingenieurinnen ausgerichtetes Maschinenbauunternehmen.
Ihr Ziel war es, Arbeitsplätze für Frauen zu schaffen, die während des Ersten Weltkriegs nach der Einberufung der überwiegend männlichen Arbeitskräfte in Fabriken und Ingenieurberufen gearbeitet hatten, aber ihre Stellen nach Kriegsende im November 1918 wieder den heimkehrenden Soldaten überlassen mussten.
Über die Rückkehr zum Hausfrauendasein nach dem Krieg sagte Lady Parsons: „Es war eine seltsame Pervertierung der Sphäre der Frauen: Erst wurden sie gezwungen, Kriegs- und Zerstörungswerkzeuge herzustellen, und dann wurde ihnen das Privileg verweigert, die Friedenswirtschaft mitzugestalten.“
Ein weiterer Name, den uns Donnelly genannt hat, ist Beatrice Shilling. Sie war die erste Frau, die an der Manchester University erfolgreich ein Ingenieursstudium absolvierte. Während des Zweiten Weltkriegs entwarf und entwickelte Shilling eine Vorrichtung, die die Treibstoffzufuhr zu den Motoren von Spitfire- und Hurricane-Kampfflugzeugen begrenzte und verhinderte, dass diese während der Luftschlacht um England im Nahkampf mit deutschen Flugzeugen ausfielen.
Als versierte Motorradfahrerin war Shilling auch eine von drei Frauen, die den Brooklands Gold Star für das Umrunden der berühmten Rennstrecke mit einer Geschwindigkeit von mehr als 100 Meilen pro Stunde (160,9 Kilometer pro Stunde) gewann.
Aktuelle Beispiele berühmter Ingenieurinnen
Karen Burt ist eine Vertreterin der jüngeren Generation auf Donnellys Liste. Nach ihrem Abschluss in Cambridge fing Burt bei British Aerospace Systems als Projektingenieurin für wissenschaftliche Satelliten an und stieg zu einer leitenden Systemingenieurin auf.
Später gründete sie ihr eigenes Beratungsunternehmen und war maßgeblich am Aufbau des Centre for Advanced Instrumentation Systems am University College in London beteiligt.
Professorin Daphne Jackson, die erste Physikprofessorin Großbritanniens (an der University of Surrey) und ehemalige Präsidentin der WES, entwickelte Mitte der 1980er Jahre ein Stipendienprogramm zur Unterstützung von Personen, die nach einer beruflichen Pause in die Forschung zurückkehren wollten.
Wie Lady Katharine Parsons setzte sich Jackson besonders für Frauen ein, die nach einer Unterbrechung wieder in ihren Beruf einsteigen wollten. Sie sagte einmal: „Stellen Sie sich eine Gesellschaft vor, die es zulässt, dass Marie Curie in einem Supermarkt Regale einräumt, nur weil sie sich eine gewisse Zeit lang ihrer Familie gewidmet hat.“
Eine weitere bemerkenswerte Ingenieurin ist Caroline Hargrove. Die Kanadierin studierte Mathematik und Ingenieurwesen an der University of Ontario, bevor sie nach Cambridge ging, um dort zu promovieren.
Ihr Lebenslauf ist wirklich beeindruckend: Sie war unter anderem 10 Jahre beim Formel-1-Team von McLaren für den Rennsimulator verantwortlich und ist Mitbegründerin des Unternehmens McLaren Applied Technologies, dessen technische Leiterin sie war.
Hargrove ist Mitglied der Royal Academy of Engineering und arbeitet heute als Chief Technical Officer bei Zedsen, einem Unternehmen, das sich auf nicht invasive Technologien zur Überwachung des menschlichen Körpers spezialisiert hat.
Diese Beispiele berühmter Ingenieurinnen – und es gibt noch viele, viele weitere – zeigen das technische Talent auf, das der Industrie und der Gesellschaft zur Verfügung steht. Wir hoffen, dass Initiativen und Veranstaltungen wie der Internationale Frauentag und die Arbeit von Organisationen wie der Women’s Engineering Society Wirkung zeigen und deutlich machen, was weiblichen Talente, die immerhin mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, bewegen können.