Der beeindruckende Bau des Empire State Building

Die Planung und Errichtung des ikonischen Wolkenkratzers in Manhattan dauerten nur 20 Monate und begründeten zahlreiche Best Practices – aber auch viele, die nie wiederholt werden dürften.

Franklin D. Roosevelt war nach eigener Aussage „ehrfürchtig“, als er 1931 als Gouverneur von New York das 102-stöckige Empire State Building einweihte.

Das Empire State Building ist zwar nicht mehr das höchste Gebäude der Welt – diese Ehre gebührt jetzt dem Burj Khalifa in Dubai –, aber es konnte diese Spitzenposition jahrzehntelang bis Anfang der 1970er Jahre halten. 

Und auch über 90 Jahre später sorgt der ikonische Wolkenkratzer – und vor allem seine Entstehungsgeschichte – noch immer für Bewunderung in der Baubranche.

In einer Epoche, in der die Errichtung neuer Hochhäuser, die halb oder sogar nur ein Viertel so hoch sind wie das Empire State Building, zwei bis drei Jahre dauern kann, lässt die Geschichte des 381 Meter hohen Wolkenkratzers, der in gut 15 Monaten Teil der Skyline von Manhattan wurde, Ingenieur:innen und Baukoryphäen immer noch verwundert den Kopf schütteln. 

Rechnet man die architektonischen und ingenieurtechnischen Arbeiten hinzu, benötigte das legendäre Bauunternehmen Starrett Brothers and Eken nur 20 Monate für die Planung und Ausführung des gesamten Projekts.

Im Verlauf des Projekts entwickelten Paul und William Starrett Techniken, die ihrer Zeit voraus waren und einen Vorgeschmack auf die Praktiken der Baubranche lieferten, die sich in den nachfolgenden Jahrzehnten entwickeln sollten.

„Sie kümmerten sich um alles – von den Finanzen über die Materialien bis hin zu den Arbeitskräften“, sagt Sean Graystone, ein Fachberater, der sich auf Lean Construction und den Erhalt historischer Gebäude spezialisiert hat.

„In der heutigen Zeit könnte sicherlich niemand ein solches Gebäude in der Innenstadt von New York errichten“, so Graystone.

Ein rasanter Start

Die Geschwindigkeit, mit der das Empire State Building entworfen und gebaut wurde, ist bis heute unübertroffen und im Vergleich zu anderen berühmten Wolkenkratzern geradezu atemberaubend.

Drei Jahre (36 Monate) dauerte es vom ersten Spatenstich bis zur Fertigstellung des alten Sears Tower (heute Willis Tower) in Chicago, der mit seiner Eröffnung 1973 das höchste Gebäude der Welt wurde. Dabei sind die Planungs- und Ingenieursarbeiten, die ein Jahr vor dem Baubeginn 1970 begannen, noch nicht eingerechnet.

Wie konnte ein Turm von der Größe des Empire State Building den Baugeschwindigkeitsrekord halten, obwohl er mit den arbeitsintensiveren und technologisch weniger ausgefeilten Bautechniken der frühen 1930er Jahre erbaut wurde?

Das von Paul und William Starrett und ihrem Kollegen Arthur J. Eken gegründete Unternehmen Starrett Brothers and Eken war zu dieser Zeit auf dem Gebiet der Errichtung von Wolkenkratzern führend, nachdem es bereits eine Reihe bekannter Gebäude in Manhattan realisiert hatte.

Bevor die Gebrüder Starrett in den 1920er Jahren gemeinsam unternehmerisch tätig wurden, hatte William im Ersten Weltkrieg als Baumeister für die US-Armee gedient, während Paul an die Spitze einer der größten Baufirmen der damaligen Zeit aufgestiegen war.

Die Brüder hatten sich einen Ruf als Genies für die Organisation und Planung von Großprojekten erarbeitet – eine Virtuosität, die beim Bau des Empire State Building in vollem Umfang zur Geltung kam.

Die Kapitalgeber des Projekts, allen voran der ehemalige New Yorker Gouverneur Al Smith, waren entschlossen, den Wettlauf mit dem sich ebenfalls im Bau befindlichen Chrysler Building um den höchsten Wolkenkratzer der Welt zu gewinnen. Dazu musste man es schaffen, ein höheres Gebäude zu errichten und zuerst zu eröffnen.

Die Gebrüder Starrett, die sich ihren Ruf als weltweit führende „Skyline-Bauer“ zunutze machten, reagierten mit einer heute kaum noch vorstellbaren Geschwindigkeit auf die Herausforderung und begannen mit der Planung und dem Entwurf.

Metallbauer mittleren Alters auf der Baustelle des Empire State Building im Jahr 1930. Rechts im Bild ist die Spitze des Chrysler Building zu sehen. Foto von Lewis Hine.

Der Architekt William Lamb erstellte den Entwurf für den Turm innerhalb von zwei Wochen, wobei er sich auf frühere Entwürfe für ein Hochhaus in Winston-Salem im US-Bundesstaat North Carolina stützte, so Great Moments in Construction History.

Die Starretts warteten mit dem ersten Spatenstich auch nicht, bis alle Planungsarbeiten abgeschlossen waren, sondern wendeten eine Bauweise an, die man heutzutage als „Fast-Track“ bezeichnen würde.

Die Gebrüder Starrett begannen mit den Fundamentarbeiten, bevor das ursprüngliche Waldorf Astoria, das einen Teil des Geländes einnahm, abgerissen war – eine Technik, die die Starretts laut Construction Company.com bereits ein Jahr zuvor bei der Errichtung des Wolkenkratzers 40 Wall Street angewandt hatten.

Bis zu 600 Arbeitskräfte arbeiteten in zwei Schichten 24 Stunden am Tag, um das Fundament auszuheben.

„Dies könnte der erste Wolkenkratzer gewesen sein, der im Schnellverfahren gebaut wurde“, so Donald Friedman, Bauingenieur und Mitverfasser des Buches „Building the Empire State“ sowie anderer Bücher über das Bau- und Ingenieurwesen. „Zum Zeitpunkt des Baubeginns waren wichtige Entscheidungen bezüglich des Entwurfs noch nicht getroffen worden. Das ist eine enorme Fast-Tracking-Leistung, die ich zu dieser Zeit nicht erwartet hätte.“

Effiziente Durchführung

Als die Arbeiten vom Ausheben des Fundaments zum eigentlichen Errichten des Turms übergingen, schufen die genialen Starrett-Brüder ein riesiges Fließband in der Luft und nutzten ein „Just-in-Time“-Logistiksystem – Jahrzehnte, bevor dieses Konzept in Mode kam.

Die Stahlträger rollten aus der Gießerei in Pennsylvania und wurden innerhalb von etwa 80 Stunden über vier Derrickkräne an ihren Platz im stetig wachsenden Grundgerüst des Turms befördert, erläutert Graystone.

Graystone zufolge war jeder Stahlträger mit einer Kennzeichnung versehen, aus der hervorging, über welchen Kran er auf welcher Seite des Gebäudes und in welchem Stockwerk angebracht werden sollte.


EBENFALLS AUF BUILT:


Dank ihrer genauen Kenntnis des Bauprozesses von Hochhäusern waren die Starretts in der Lage, die Planung so zu gestalten, dass verschiedene Engpässe ausgeglichen werden konnten und ein stetiger Fluss von Baumaterialien dort verfügbar war, wo er benötigt wurde.

Damit die Arbeiten auf der Baustelle reibungslos ablaufen konnten, wurden andere Materialien in Werken abseits der Baustelle so weit wie möglich fertiggestellt, bevor sie angeliefert wurden.

Die Gebrüder Starrett haben sich zudem etwas einfallen lassen, um die Effizienz ihres Bautrupps zu steigern: 3.500 Arbeitskräfte aus 60 verschiedenen Gewerken waren an der Errichtung des Turms beteiligt.

Die Starretts richteten in den im Bau befindlichen Stockwerken ein Minieisenbahnsystem mit Gleisen ein, über das die Arbeiter weitaus größere Mengen an Baumaterialien transportieren konnten, als dies mit Schubkarren möglich gewesen wäre.

Die Bauunternehmer richteten darüber hinaus nach und nach eine Reihe von Kantinen in den Stockwerken des Turms ein, damit die Arbeitskräfte während des Mittagessens und der Pausen auf der Baustelle bleiben konnten.

„Ansonsten hätten alle Arbeiter zum Mittagessen auf die Straße gehen müssen“, erklärt Friedman. „So wurden die Treppen und Aufzüge nicht übermäßig genutzt.“

„Es war eine bemerkenswert reibungslose Baustelle, insbesondere in Anbetracht der Größe des Projekts und des fehlenden Bereitstellungsbereichs“, fügt er hinzu.

Fortwährende Errungenschaften

All die Effizienz, die vorausschauende Planung und das organisatorische Genie der Starretts konnten das Empire State Building nicht vor den verheerenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise bewahren.

Der Wolkenkratzer wurde am 1. Mai 1931 in den dunkelsten Tagen der ökonomischen Katastrophe eröffnet. Auch wenn sich das Gebäude schnell zu einer beliebten Touristenattraktion und einem kulturellen Wahrzeichen mauserte, war es aus wirtschaftlicher Sicht ein Misserfolg, der ihm schnell den Spitznamen „The Empty State Building“ einbrachte.

Erst 1950, fast zwei Jahrzehnte nach seiner Eröffnung, konnte der Turm in die Gewinnzone eintreten, obwohl er sich im Laufe der Zeit zu einem begehrten Objekt bei gewerblichen Mietern entwickelt hatte.

Doch die brillante Leistung der Gebrüder Starrett lebt weiter: 1998 veröffentlichten Carol Willis und Friedman das Buch „Building the Empire State“, das den Starretts den gebührenden Respekt zollt.

Das Buch entstand nach der Entdeckung eines firmeninternen Notizbuchs, das die Gebrüder Starrett während des Baus des Empire State Building über die Arbeiten geführt hatten. Das Bautagebuch wurde in den Akten des Nachfolgeunternehmens von Starrett – HRH Construction Co. – gefunden.

In dem Notizbuch befand sich eine wahre Flut an Details über den Bau und die Architektur des Gebäudes, wie beispielsweise eine Zeichnung, in der genau festgelegt war, welcher Kran welches Stahlteil anheben sollte.

„Als Ingenieur ist es schwierig, sich ein Bild von früheren Vorgehensweisen zu machen“, berichtet Friedman. „Man sieht das Ergebnis, aber weiß nicht wirklich, wie es entstanden ist. Es ist interessant, die Vorläufer vieler der heutigen Arbeitsweisen zu sehen.“

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