Video von Justin Hearn
In gewisser Weise ist Lehm das grundlegendste Baumaterial, das der Menschheit zur Verfügung steht. Da Lehm in der Natur leicht verfügbar ist, diente er den Menschen schon seit jeher als Baustoff.
Es gibt zahllose Beispiele für historische Lehmbauten, darunter die von den Ureinwohnern New Mexicos in der Adobe-Bauweise erbauten Pueblo-Siedlungen und die tragbaren Holzrahmenstrukturen der Aborigines, die mit einer isolierenden Lehmschicht bedeckt wurden, um die Bewohner vor Kälte und Hitze zu schützen. Sogar die ersten Bauversuche vieler Kinder bestehen meist aus einer Mischung aus Erde und Wasser – ob in Form eines Schlammhügels im Garten oder einer Sandburg mit Wassergraben am Strand.
„Wenn wir uns die Anfänge des Bauens einmal näher anschauen, dann haben die Menschen schon immer mit den lokalen Ressourcen eine Vielzahl an interessanten Lösungen entwickelt“, erzählt Emanuela Del Gado, Professorin an der Georgetown University, die mithilfe computergestützter Berechnungen und statistischer Mechanik komplexe Materialien untersucht.
Schon seit Jahrhunderten haben die Menschen auf der ganzen Welt mit einfach verfügbaren Materialien wie Erde und Wasser Konstruktionen gebaut. Aber warum stehen manche dieser Bauten wie das alte Fort von Hierakonpolis bis heute, während andere längst zu Staub zerfallen sind?
Laut Del Gado wissen wir noch längst nicht alles, wenn es um das Bauen mit erdbasierten Materialien geht. Wenn wir diesen Bereich weiter erforschen, stoßen wir vielleicht auf neue Möglichkeiten, wie wir dieses unglaublich günstige und umweltfreundliche Material nutzen können.
Bauen mit erdbasierten Materialien
Wie funktioniert das Bauen mit Erde eigentlich? Um die grundlegenden Prinzipien von Erdbauten zu verstehen, denken Sie an das letzte Mal, als Sie eine Sandburg gebaut haben.
„Wenn Sie eine Sandburg bauen, dann haben Sie zuerst trockenen und losen Sand“, erklärt Del Gado. Jeder weiß, dass der Sand besser zusammenhält, wenn etwas Wasser hinzukommt. Die Sandkörner ziehen sich zwar gegenseitig nicht an, aber fügt man die richtige Menge Wasser hinzu, bilden diese hauchdünne Schichten, die sich an die einzelnen Körner heften und die Burgkonstruktion zusammenhalten. Da es sich aber lediglich um flüssiges Wasser handelt, verdunstet es irgendwann zwischen den Sandkörnern. Steht die Sandburg also für den Rest des Tages in der Sonne, verdunstet das Wasser und das Gebilde zerfällt nach und nach.“
Wenn das Wasser zwischen den einzelnen Sandkörnern immer weiter verdunstet, wird das Gebilde so instabil, dass es schließlich in sich zusammenfällt.
Bei Bauten aus Erde, die viele Jahre überdauern, ist das Wasser dagegen tiefer in die Materialstruktur eingedrungen. Wenn in diesem Fall das Wasser verdunstet, wird das Material härter anstatt weicher.
„Es gibt einige Lehmarten und daher prinzipiell einige Erdzusammensetzungen, die eine besonders interessante Reaktion mit Wasser haben – ähnlich der Reaktion, die bei Zement zu beobachten ist“, erklärt Del Gado. „Das Pulver reagiert mit dem Wasser und es entsteht eine äußerst klebrige Masse, die nach einiger Zeit hart wie Stein wird.“
Diese Materialien werden Geopolymere genannt. Del Gado und andere führende Wissenschaftler auf dem Gebiet der Materialwissenschaften erforschen momentan die Funktionsweise dieser Geopolymere.
Doch warum sind diese Baumaterialien von Bedeutung?
Die Bauindustrie versucht, ihre negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren. Materialien wie Lehm und Erde können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Umweltschäden zu verringern.
„Im Baugewerbe gab es schon immer die notwendige Einschränkung, mit Ressourcen zu arbeiten, die überall verfügbar und relativ günstig sind“, so Del Gado. „Das ist auch einer der Gründe, warum Zement ein so weitverbreitetes Baumaterial ist: Er kann überall auf der Welt aus Steinen hergestellt werden.“
Die Zementherstellung ist jedoch besonders schädlich für die Umwelt. Sogar in einem solchen Maße, dass einige Wissenschaftler Beton, für dessen Herstellung Zement erforderlich ist, als „das zerstörerischste Material unseres Planeten“ bezeichnen. Laut Del Gado könnte ein umfassenderes Wissen über die Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten von Materialien wie Erde und Lehm der Bauindustrie helfen, den Einsatz von Beton deutlich zu reduzieren.
„Theoretisch wäre es möglich, eine bestimmte Menge gewöhnlichen Zementpulvers mit einem passenden Geopolymer zu mischen“, sagt Del Gado. „Auf diese Weise könnte die Menge an Zement beim Bau eines Gebäudes reduziert werden.“
Eine solche Reduzierung hätte wiederum bedeutende Auswirkungen auf den ökologischen Fußabdruck der Bauindustrie – von der Verringerung der Wassermenge, die beim Bau von Gebäuden aus Zement benötigt wird, bis hin zur Senkung der Emissionen, die bei der Herstellung von Zement entstehen.
Uralte Technologie und moderne Forschung
Die erfolgreiche Herstellung von Geopolymeren für den Bau von Gebäuden beruhte damals hauptsächlich auf dem Prinzip des Ausprobierens. Die Erbauer experimentierten mit den vor Ort verfügbaren Materialien, um robustere Konstruktionen zu errichten.
„Ein großartiges Beispiel für die Verwendung von lokalen Ressourcen und sogar von Abfallmaterialien als ergänzende Baustoffe ist die chinesische Mauer. Dort wurden Spuren von Reisproteinen im Mörtel gefunden“, erzählt Del Gado. Die klebrige Reispaste, die dem teuren Löschkalkmörtel beigemischt wurde, war eine besonders wirksame Ergänzung. Die Mischung verband die Steine so fest miteinander, dass an manchen Stellen noch immer kein Unkraut in den Mauerritzen wachsen kann.
Möchte die moderne Bauindustrie von diesen uralten Techniken profitieren, braucht es bezüglich des Materialeinsatzes einen wohldurchdachten, forschungsbasierten Ansatz.
„Es stellt sich nun die Frage, ob wir zu diesen Technologien zurückkehren können – mit unserem heutigen Wissen und den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Materialforschung. Können wir eine moderne Version dieser Technologien einsetzen, um die Probleme zu lösen, vor denen wir momentan stehen?“