Das nachhaltige 100-Milliarden-Dollar-Bauvorhaben von Göteburg

Im Rahmen der laufenden Megaprojekte in der schwedischen Stadt wird mithilfe von innovativer Bautechnologie eine städtische Transformation vollzogen.

Göteborg ist ein Ort der Gegensätze. Es handelt sich um Schwedens zweitgrößte Stadt und das wirtschaftliche und industrielle Zentrum des Landes. Weltbekannte Unternehmen wie Volvo und AstraZeneca sind hier angesiedelt. Nun werden über Jahrzehnte hinweg beinahe 100Milliarden US-Dollar (94Milliarden Euro) investiert, um die Stadt weiterzuentwickeln und bis 2035 zum Handels- und Logistikzentrum Nordeuropas zu machen.

Das Prestigeobjekt des Bauvorhabens bildet der elegante neue Wolkenkratzer namens CityGate, der bei seiner Fertigstellung dieses Jahr das höchste Bürogebäude der nordischen Region sein wird.

Wer bei Google nach Göteborg sucht, stößt allerdings unweigerlich auf eine Flut von Artikeln, in der die Stadt als grün, nachhaltig und attraktiver Wohnort beschrieben wird.

Was geht hier also vor sich? Wie hat es diese schwedische Stadt geschafft, nicht nur bahnbrechende Projekte voranzutreiben, sondern dieses Wachstum auch nachhaltig zu gestalten?

Um diese Fragen wirklich beantworten zu können, müssen wir eine kleine Zeitreise antreten. Vor rund 40Jahren durchlief Göteborg eine große Veränderung. Der Schiffsbau war ab dem 16.Jahrhundert von entscheidender Bedeutung für die Wirtschaft, aber in den 1980er-Jahren war der Niedergang der Branche nicht mehr aufzuhalten.

Für die Stadt stellte das allerdings noch lange kein Todesurteil dar. Im Laufe der 1990er Jahre wurden die riesigen leeren Schiffswerften in ein Hightech-Forschungs- und Entwicklungszentrum umgebaut. Darüber hinaus ließen die Seeverkehrsverbindungen der Stadt sie zu einem bedeutenden Handelshafen aufsteigen.

2014 wurde dann die Göteborger Entwicklungsstrategie bekanntgegeben: Es handelte sich um einen umfassenden Plan, der die Leitlinien für die Weiterentwicklung der Stadt in den nächsten zwei Jahrzehnten festlegte. Der Plan sieht vor, dass zwischen 2016 und 2035 mehr als 100Milliarden US-Dollar (94Milliarden Euro) investiert werden, um Infrastrukturen wie den Hafen und das U-Bahn-Netz zu erweitern und 55.000neue Wohneinheiten zu bauen.

Trotz der regen Bautätigkeit geht Göteborg keine Kompromisse ein, wenn es um seine Umweltkriterien geht. Dies ist aber leichter gesagt als getan. Der neue CityGate Tower ist jedoch ein hervorragendes Beispiel dafür, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Obwohl es sich um das größte Bürogebäude in Skandinavien handelt, soll es mit der höchsten LEED-Zertifizierung ausgezeichnet werden.

LEED wurde in den 1990er Jahren als Gütesiegel für besonders nachhaltig gebaute Gebäude konzipiert. Platin ist die begehrteste Auszeichnung. Um diese zu erlangen, müssen aber viele Kriterien erfüllt werden. Dies gelang bisher nur bei einigen Tausend Gebäuden weltweit.

Beim Bau von CityGate wurden die Umweltkriterien bereits während der Planung und des Baus berücksichtigt. Für die Fassade wurde recyceltes Aluminium verwendet. Herkömmlicher Beton, der umweltschädlichste Bestandteil des Gebäudes, wurde durch eine Hightech-Lösung ersetzt.

Die Betonherstellung ist für etwa 8% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Für CityGate wurde aber kein CO2-intensiver Zement in den Beton gemischt, sondern Flugasche, ein Nebenprodukt der Kohleindustrie mit ähnlichen Eigenschaften.

Am beeindruckendsten ist aber wahrscheinlich die Tatsache, dass dieses Gebäude gänzlich mit Solarstrom betrieben wird, der von einem Solarpark am Rande Göteborgs stammt. Ja, sie haben richtig gelesen: Das größte Bürogebäude Schwedens wird zu 100% mit erneuerbarer Solarenergie versorgt werden.

Nicht nur die Nachhaltigkeit macht dieses Projekt zu einem typisch schwedischen. Auch die Tatsache, dass der 144Meter hohe Turm beinahe zur Gänze aus Fertigteilen gebaut wurde.

Schweden hat im Fertigteilbau seit langem eine Vorreiterposition inne. Nahezu 80% des Wohnungsbestandes wurde aus Fertigteilen errichtet.

Der Betonkern war der einzige Teil des Gebäudes, der vollständig vor Ort gegossen wurde. Die Bodenplatten, Stahleinheiten und Paneele wurden als Fertigteile geliefert und wie bei einem gigantischen LEGO-Haus vor Ort zusammengebaut. Das ist ideal für einen kleinen Baugrund, der seitlich begrenzt ist– durch ein Stadion, eine Feuerwehrzentrale und eine zweite Baustelle.

Außerdem konnte das Bauwerk unglaublich schnell fertiggestellt werden. Nach dem tatsächlichen Baubeginn schoss der gesamte Turm innerhalb von 14 Monaten geradezu aus dem Boden. Zum Vergleich: Das Ausheben der Grube für das Gebäudefundament dauerte aufgrund des zähen Göteborger Lehms ebenso lange.

CityGate hat auch neue nationale Standards für die Verwendung digitaler Bautools wie Bluebeam gesetzt.

Projekte dieser Größe zu organisieren, ist sehr aufwendig. Bei derart vielen Dateien und digitalen Nachrichten ist es äußerst wichtig, dass Leiter:innen im Austausch mit ihren Teams stehen und alle sicher sein können, dass sie Zugriff auf die richtigen Informationen haben.

Bauleiter Jimmy Hemmingsson meint: „Wir arbeiten mit 3.000 bis 4.000technischen Zeichnungen, die alle einer Planprüfung unterzogen werden müssen.Wenn all diese Dokumente digital verlinkt sind, fällt es sämtlichen Projektmitgliedern leichter, das Gesuchte zu finden.“

Dadurch werden Arbeitsabläufe beschleunigt und Stress reduziert. Außerdem wird sichergestellt, dass alles nach Plan gebaut wird. Ein weiterer Vorteil besteht in der Nachhaltigkeit der papierlosen Abläufe.

„Wir können viele Bäume vor der Abholzung bewahren, da unsere Pläne nicht ausgedruckt werden müssen“, so Hemmingsson.

CityGate ist zweifelsohne beeindruckend. Aber auch ohne dieses Gebäude hat Göteborg einen guten Ruf in Ehren zu halten. Wie wir anderswo gesehen haben, führen große Geldmengen und umfassende Bauvorhaben jedoch nicht zwangsläufig zum besten Ergebnis für die lokale Bevölkerung. Was macht Göteborg also anders?

Nun, die Göteborger Entwicklungsstrategie war von Beginn an darauf ausgerichtet, das Unternehmenswachstum zu fördern, und machte gleichzeitig die Lebensqualität zu einer Priorität.

Um die Lebensqualität in der Stadt zu bewahren, wollten die Stadtplaner:innen das kleine Zentrum und die einheimische Atmosphäre von Göteborg erhalten. Der Plan sieht vor, dass wichtige Bereiche im Stadtzentrum entwickelt und dichter gestaltet werden sollen. Eine Ausdehnung in große Vororte mit langen Pendelzeiten ist nicht vorgesehen.

Momentan leben 10% der Göteborger rund um das Stadtzentrum, wo sich 90% der Arbeitsplätze befinden. Dag Hammarskjöldsleden, eine der größten Stadteinfahrten, soll von einer unpassierbaren Fernstraße in einen fußgängerfreundlichen Boulevard mit Grünflächen und neuen Anbindungen an die öffentlichen Verkehrsmittel umgewandelt werden.

Die Wohnungssituation in Schwedens Großstädten ist hingegen schon seit Jahrzehnten ein kontroverses Thema. In Schweden liegt der Fokus auf Miete. Durch ein umfassendes Mieterschutzsystem werden Mieten gering gehalten und stabile Langzeitverträge ermöglicht.

Manche sind der Meinung, dass diese großzügigen Bestimmungen Bauunternehmen vom Bau neuer Häuser abschrecken.

Obwohl das Wohnungswesen ein Problem darstellt, ist die Situation nicht mit den chronischen Problemen andernorts vergleichbar. Göteborg steht vor Herausforderungen, die sich jenen in anderen Städten weltweit ähneln, aber die Stadt nimmt sich den Problemen an, bevor sie zu sehr ausufern.

Einer der ausschlaggebenden Faktoren, der den Anstoß für die Ausarbeitung dieses umfassenden Plans gab, war die Erkenntnis bei der Göteborger Stadtverwaltung, dass ein Bevölkerungszuwachs von 150.000Personen innerhalb von 20Jahren bevorsteht. Im Vergleich: Toronto erwartet in den nächsten zehn Jahren eine Zuwanderung von mehr als zwei Millionen Menschen, hat allerdings keinen Wohnraumbeschaffungsplan für die bestehenden Einwohner:innen.

Auch wenn diese Stadt nicht alles hat, was das Herz begehrt, legt sie die Messlatte für andere Städte hoch. So wie es aussieht, wird Göteborg in den Rankings noch eine Weile den ersten Platz innehaben.

Dieses Video und dieser Artikel wurden ursprünglich von The B1M in Zusammenarbeit mit Bluebeam erstellt. Klicken Sie hier, um die Originalversion anzusehen.

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