Illustration von Wenting Li
Seit Beginn der Menschheitsgeschichte haben Menschen Gebäude errichtet, die ihre physischen und psychologischen Bedürfnisse widerspiegeln.
Die Japaner entwickelten verschiebbare Wände aus Papier, weil es ihnen kulturell bedingt wichtig ist, dass ihre Räume flexibel angepasst werden können. Die unverwechselbaren Hausfassaden aus Kalkstein in Paris sollten eine ästhetische Reflexion von Napoleons Wunsch eines einheitlichen Frankreichs darstellen.
Die Gebäude, in denen wir leben und arbeiten, können als Erweiterung unserer kulturellen Werte und als ein Spiegelbild der wichtigsten Aspekte unseres gemeinsamen Menschseins betrachtet werden.
Aber was, wenn diese Beziehung wechselseitig ist? Wenn wir nicht nur unsere Umgebung gestalten, sondern unsere Umgebung uns ebenfalls prägt?
Dieses Konzept wird in dem faszinierenden neuen Sachbuch The Great Indoors: The Surprising Science of How Buildings Shape Our Behavior, Health, and Happiness von Emily Anthes behandelt. Während die kulturellen und psychologischen Bedürfnisse der Menschen die Bauwerke prägen, in denen wir leben, prägen diese Bauwerke, so Anthes in ihrem Buch, in der Tat auch die Menschen.
Arbeitsbereiche und der Einfluss von Großraumbüros
Laut Anthes hat die COVID-19-Pandemie Architekten dazu gebracht, eines der unbeliebtesten Merkmale der modernen Arbeitswelt zu überdenken: das weitverbreitete Großraumbüro.
Das erstmals in den 1960er Jahren durch die revolutionären Entwürfe der Herman Miller Research Corp. bekanntgewordene Großraumbüro sollte die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern vereinfachen und eine demokratischere Struktur am Arbeitsplatz schaffen. Stattdessen kann es die Kommunikation aber sogar schwieriger machen, schreibt Anthes in ihrem Buch.
„Wenn über Großraumbüros gesprochen wird, hört man oft Lippenbekenntnisse, dass man die Privatsphäre opfert, aber es viel besser für die Teamarbeit und die Zusammenarbeit sei“, erklärt Anthes in einem Interview mit dem Built Blog. „Das scheint allerdings nicht der Fall zu sein. In einer Studie, die ich in meinem Buch erwähne, wurden Büroangestellte vor und nach einer Büroumgestaltung, bei der sie von Einzelbüros in ein Großraumbüro umzogen, mit elektronischen Ausweisen ausgestattet. Und es stellte sich tatsächlich heraus, dass die persönliche Kommunikation nach dem Umzug ins Großraumbüro stark nachließ.“
Der Wechsel vom Einzelbüro ins Großraumbüro führte dazu, dass Teammitglieder hauptsächlich online miteinander kommunizierten. „Ob es nun daran lag, dass es keine Privatsphäre gab oder Mitarbeiter befürchteten, ihre Kollegen zu stören, eines steht zumindest fest: Der Umzug hatte nicht den vom Unternehmen erwarteten Effekt, sondern bewirkte genau das Gegenteil“, erläutert Anthes.
Großraumbüros können außerdem dafür sorgen, dass für alle Mitarbeiter die gleichen Bedingungen gelten. Anthes hat jedoch festgestellt, dass dieses demokratische Merkmal nicht unbedingt gut sein muss. Die Luft in schlecht belüfteten Großraumbüros kann messbare Auswirkungen auf die Leistung der Mitarbeiter haben – auch in Zeiten ohne Pandemie.
„Es hat sich herausgestellt, dass selbst mäßige Ansammlungen von CO2 in geschlossenen Räumen, wie sie normalerweise in Klassenräumen und Büros entstehen, die kognitive Leistung und das Denken beeinträchtigen können“, schreibt Anthes. „Das gilt insbesondere für Bereiche, in denen sich mehrere Menschen gleichzeitig aufhalten, z. B. in Konferenzräumen, die über keine gute Belüftung verfügen. Wenn sich ein Dutzend Menschen eine Stunde lang im selben Raum befindet, kann sich schnell CO2 ansammeln. Eine Studie hat ergeben, dass Menschen bei kognitiven Tests bessere Ergebnisse erzielen, wenn reichlich gelüftet und frische Luft von draußen zugeführt wird.“
Jetzt, wo immer mehr Angestellte an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und Abstand voneinander halten müssen, ist es wichtiger denn je, auf die Luftzirkulation innerhalb der Arbeitsbereiche zu achten. Dies dient sowohl zum Schutz vor dem Virus als auch zur Förderung kognitiver Höchstleistungen.
„Aus infektiologischer Sicht sind Großraumbüros alles andere als gut“, sagt Anthes. „Diverse Studien haben gezeigt, dass sich Menschen, die in Großraumbüros arbeiten, häufiger krankmelden als solche, die dies nicht tun.“ Anthes hofft, dass die COVID-19-Pandemie Unternehmen zum Überdenken ihrer Bürogestaltung anregt. „Großraumbüros sind schlecht für alle abgesehen von den Erbsenzählern“, sagt Anthes und meint damit die Buchhaltungsabteilung.
Auswirkungen auf unseren Wohnraum
Die meisten von uns haben keinen Einfluss auf das Design ihres Arbeitsplatzes, aber wie sieht es mit der Gestaltung unseres Zuhauses aus?
Jetzt, wo mehr Menschen im Homeoffice arbeiten, hat dieser Bereich noch mehr an Bedeutung für unser Leben gewonnen und Anthes hat darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, bei der Gestaltung und Nutzung unserer eigenen vier Wände bewusst vorzugehen.
„Ich empfehle immer zuallererst, die Natur zu uns nach Hause zu holen“, so Anthes. „Die Natur bringt uns einfach unglaublich viele Vorteile. Was auch immer man sich von einer Umgebung erhofft, die Natur kann damit dienen. Sie reduziert Stress, Ängste und Schmerzen, steigert den Fokus und die Konzentration und stärkt obendrein das Immunsystem.“
Die Schaffung eines Wohnraums, der sich wie ein Stück Natur anfühlt, unterstützt die Gesundheit und das Wohlbefinden seiner Bewohner erheblich. „Studien zufolge kann bereits der Blick aus dem Fenster in die Natur dafür sehr hilfreich sein“, erläutert Anthes. „Wer diesen Luxus jedoch nicht hat, kann mit Zimmerpflanzen eine ähnliche Wirkung erzielen, genau wie mit Fotos von Naturlandschaften oder dem Abspielen von Geräuschen aus der Natur. Die Natur in unsere Wohnbereiche zu bringen, bringt große Vorteile mit sich.“
Anthes empfiehlt auch, auf die Qualität und die Farbe des Lichts zu achten, dem wir uns im Laufe des Tages aussetzen. „Kühles, blaues Licht scheint für Multitasking und das Wechseln zwischen Aufgaben förderlich zu sein“, erklärt Anthes. „Und warmes Licht soll nachweislich besser für die Kreativität sein. Es gibt nicht das eine Umfeld, das für alles gut geeignet ist – alles hängt von der Art der zu gestaltenden Bereiche sowie von den Aufgaben ab, die Menschen dort verrichten sollen.“
Flexibel gestaltbare Räume für mehr Lebensqualität
Schließlich macht Anthes darauf aufmerksam, dass es stets eine wichtige Eigenschaft zu berücksichtigen gibt – unabhängig davon, ob es sich um ein Homeoffice oder ein umfangreiches Gewerbebauprojekt handelt – und das ist die Anpassungsfähigkeit.
„Sich das Prinzip der Auswahl und Kontrolle zunutze zu machen, ist die beste Lösung, um mit Problemen der Raumgestaltung umzugehen“, erzählt Anthes. „Architekten sollten verschiedene Mikroumgebungen entwerfen – vielleicht ein paar Sofas und gedimmtes Licht in einer etwas dunkleren Ecke des Büros und dazu dann einen hellen Konferenzraum oder Schreibtische in offenen Büroräumen. Für Angestellte sollte es möglich sein, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen.“
Auf diese Weise können Mitarbeiter und andere Benutzer von gemeinsam genutzten Räumen diese einfacher an ihre Bedürfnisse anpassen. „Es ist schwierig, einen Bereich zu gestalten, der für alle geeignet ist“, fügt Anthes hinzu. „Je mehr unterschiedliche Mikroumgebungen geschaffen werden und je mehr Entscheidungen Menschen selbst treffen können, desto besser.“