Der Kampf gegen den Klimawandel und die Senkung der Kohlenstoffemissionen gehen Hand in Hand. Daher ist man in der Baubranche unermüdlich auf der Suche nach Möglichkeiten, um die Auswirkungen der eigenen Aktivitäten auf die Umwelt im weiteren Sinne zu verringern.
Die Auswahl der Materialien zur Durchführung eines Projekts fällt dabei ebenso in diese Bemühungen wie Überlegungen zum täglichen Betrieb des fertigen Gebäudes.
Die Debatte dreht sich oftmals um die Frage, wie „gesund“ Gebäude für ihre Bewohner:innen sind und wie deren Wohlbefinden durch energieeffiziente Beleuchtung, Belüftung, Heizung und Kühlung sichergestellt wird.
Architekt:innen werben mit der Umweltfreundlichkeit ihrer Entwürfe und heben deren zertifizierte Nachhaltigkeitsaspekte hervor. Zu diesen Zertifizierungen zählen etwa das BREEAM-Bewertungssystem aus Großbritannien, das 1990 vom Building Research Establishment eingeführt wurde, und das LEED-Bewertungssystem für grünes Bauen in den USA, das Anfang der 1990er Jahre vom US Green Building Council entwickelt wurde.
Die „Kohlenstoffrechnung“ des Baugewerbes
Gesundheit und Wohlbefinden sind für die Bewohner:innen von entscheidender Bedeutung, aber die gesamte „Kohlenstoffrechnung“ eines Gebäudes kann nicht losgelöst von der Debatte über den Beitrag des Baugewerbes zu den Kohlenstoffemissionen betrachtet werden.
Operative Kohlenstoffemissionen – die aus der Energie resultieren, die für ein funktionierendes Bürogebäude oder Haus verbraucht wird – machen den größten Teil der Kohlenstoffemissionen aus der bebauten Umwelt aus und zwar etwa 28 % der weltweiten Emissionen. Weitere 11 % entfallen auf den verkörperten Kohlenstoff – also auf die beim Bau eines Gebäudes verwendeten Materialien.
Die Reduzierung der operativen Kohlenstoffemissionen eines Gebäudes hat zwar eindeutig Priorität, aber auch die Verringerung des verkörperten Kohlenstoffs in Gebäuden ist von entscheidender Bedeutung.
Was ist verkörperter Kohlenstoff?
Nach Angaben des World Green Building Council (WGBC) handelt es sich bei verkörperten Kohlenstoffemissionen um den Ausstoß, der von den Materialien und Baumaßnahmen während des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes oder eines Infrastrukturprojekts verursacht wird.
Laut WGBC umfasst der verkörperte Kohlenstoff alle Emissionen, die bei der Materialgewinnung, dem Transport zum Hersteller, der Herstellung, dem Transport zur Baustelle, dem Bau, der Nutzung (beispielsweise die Carbonatisierung von Beton, jedoch ohne die operativen Kohlenstoffemissionen), der Wartung, Reparaturen, dem Ersatz, der Renovierung, dem Rückbau, dem Transport zur Entsorgung und der Entsorgung selbst entstehen.
Der UK Green Building Council (UKGBC) vertritt einen ähnlichen Standpunkt und stimmt mit den Kolleg:innen des WGBC darin überein, dass in einigen Fällen auch die Wartung, der Ersatz, der Rückbau, die Entsorgung und die End-of-Life-Aspekte der Materialien und Systeme, aus denen das Objekt besteht, dazugehören können.
Messen des Kohlenstoffs
Nun, da die Definition geklärt ist, stellt sich die Frage, wie diese Emissionen berechnet werden können. Nach Angaben des britischen Institution of Structural Engineers (ISE) wird der verkörperte Kohlenstoff gemessen, indem die Menge aller einzelnen Materialien mit einem Kohlenstofffaktor multipliziert wird. Dieser basiert in der Regel auf einer Schätzung der Kilogramm an CO2 pro Kilogramm an Material für jeden betrachteten Lebenszyklus – vom Beginn der Bauarbeiten bis zur Fertigstellung.
Laut ISE können die Materialmengen je nach Entwurfsphase und den Werkzeugen, die den Ingenieur:innen zur Verfügung stehen, unterschiedlich berechnet werden. Wer solche Berechnungen anstellen möchte, muss mit den Lebenszyklusphasen vertraut sein, die in den Normen BS EN 15978 (2011) und BS EN 15804 (2019) definiert sind. Anhand dieser Normen wird die Menge an Kohlenstoff festgelegt, die in den verschiedenen Phasen des Lebenszyklus eines Materials freigesetzt wird.
Laut ISE ist der wichtigste Zeitpunkt für die Berechnung des verkörperten Kohlenstoffs die frühe Entwurfsphase. Das Institut führt weiter aus: „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Sie Zeit und Spielraum haben, um angesichts Ihrer Bewertung des verkörperten Kohlenstoffs Änderungen vorzunehmen.“
Reduzierung des verkörperten Kohlenstoffs im Baugewerbe
Was kann man tun, um verkörperten Kohlenstoff in Gebäuden zu reduzieren? Das American Institute of Architects (AIA) stellt hierfür zehn verschiedene Ansätze vor:
- Wiederverwendung von Gebäuden anstelle von Neubauten (Laut AIA spart die Renovierung und Wiederverwendung in der Regel zwischen 50 und 75 % der verkörperten Kohlenstoffemissionen im Vergleich zum Bau eines neuen Gebäudes.)
- Verwendung von speziellem, kohlenstoffarmem Beton
- Beschränkung der Verwendung von kohlenstoffintensiven Materialien wie Aluminium und Kunststoff
- Verwendung kohlenstoffärmerer Alternativen wie beispielsweise Holz anstelle von Stahl
- Einsatz von kohlenstoffbindenden Materialien wie Holz oder Stroh
- Wiederverwendung von Materialien, wo immer möglich
- Verwendung von Materialien mit einem hohen Recyclinganteil
- Maximierung der Gebäudeeffizienz
- Reduzierung des Einsatzes von Oberflächenmaterialien (Durch eine intelligente Gestaltung kann ein attraktives und gleichzeitig kohlenstoffarmes Ergebnis erzielt werden.)
- Abfallminimierung
Der Weg in eine kohlenstoffneutrale Zukunft
Im Hinblick auf die Reduzierung der Emissionen, die insbesondere durch den verkörperten Kohlenstoff von Baustoffen verursacht werden, gibt es noch viel zu tun. Die Abhängigkeit der Baubranche von kohlenstoffintensiven Materialien muss verringert werden. Die Ziele sind zwar ambitioniert, aber ohne ehrgeizige Ziele bleiben Erfolge aus.
Der WGBC fordert, dass bis 2030 alle neuen Gebäude, Infrastrukturprojekte und Renovierungen mindestens 40 % weniger verkörperten Kohlenstoff aufweisen sollten und die Nutzung aller neuen Gebäude kohlenstoffneutral sein muss.
Darüber hinaus sieht der WGBC vor, dass neue Gebäude, Infrastrukturprojekte und Renovierungen bis 2050 in der Summe keinen verkörperten Kohlenstoff aufweisen werden und dass alle Gebäude – einschließlich bestehender Gebäude – bis dahin hinsichtlich des operativen Kohlenstoffs das Netto-Null-Ziel erreichen müssen.
Der Einsatz mag hoch erscheinen, aber er lohnt sich. Laut UKGBC bietet die Reduzierung des verkörperten Kohlenstoffs „eine attraktive, einmalige Gelegenheit, in kürzerer Zeit erhebliche Einsparungen zu erzielen“ und die Berücksichtigung des verkörperten Kohlenstoffs in der Entwurfsphase eines Projekts „kann zu einer höheren Ressourceneffizienz führen“.
Sämtliche Stakeholder im Bausektor werden alle Hebel in Bewegung setzen, um derartige Effizienzgewinne zu erzielen.