Ein Baumaterial für den guten Geschmack

Wie bitte? Sie haben richtig gelesen. Die meisten von uns würden wohl zustimmen, dass mit Zwiebeln angebratene Pilze eine Mahlzeit so richtig köstlich machen. Nun hat sich herausgestellt, dass Pilze auch in der Baubranche vorzüglich eingesetzt werden können und zwar als Baumaterial, was zudem noch zur Reduzierung von Bauabfällen beiträgt.

Wenn wir an Baumaterial denken, stellen sich die meisten von uns wohl Metall, Beton oder Holz vor oder denken vielleicht sogar an den Bau mit Erde, den unsere Vorfahren praktiziert haben, wenn wir nur weit genug zurückdenken.

Christopher Maurer von Redhouse Studio Architecture hat jedoch ein neues Material entdeckt, von dem er glaubt, dass es die Zukunft der Branche prägen könnte – und es ist eher in Ihrem Kühlschrank oder Ihrem Lieblingsessen zu finden als auf einer Baustelle:

Pilze.

Built hat mit Maurer gesprochen, um mehr über seinen revolutionären Ansatz zur Verwendung von Pilzen im Bauwesen zu erfahren – von der Erzeugung eines umweltfreundlicheren Materials über den Abbau giftiger Bauabfälle bis hin zur Entwicklung einer neuen Herangehensweise an den Städtebau in Schwellenländern.

Warum eignen sich Pilze als natürliches Baumaterial?

Pilze haben eine Struktur, die leicht verändert werden kann, um vom Menschen hergestellte Baumaterialien nachzuahmen, so Maurer. „Die Wurzelstruktur von Pilzen wird Myzel genannt. Dabei handelt es sich im Grunde um diese kleinen Stränge, die den Wurzeln von Pflanzen ähneln. Sie verzweigen sich zwischen all den verschiedenen Partikeln des Sägemehls, in dem sie wachsen, und binden diese auf die gleiche Weise zusammen, wie Leim in einer mitteldichten Faserplatte Sägemehl bindet.“

Dieser Umwandlungsprozess von Sägemehl oder Totholz zurück in ein nutzbares Material ist für die natürliche Funktion eines Pilzes unerlässlich. „Aus der Sicht des Pilzes kommt dies dem Abbau seiner Nahrung sehr nah“, so Maurer. Mit ein wenig Hilfe von Maurer und seinem Team lässt sich aus Myzel ein Material herstellen, das Holz sehr ähnlich ist. „Wenn wir das erhitzen und verdichten, erhalten wir ein Material, das im Grunde das ursprüngliche Holz ist, das wir dann in jede nur erdenkliche Form bringen können“, erläutert Maurer.

Verwendung von Myzel zur Beseitigung von Bauabfall

Pilze stellen aber nicht nur ein neues Material dar. Laut Maurer könnten sie mit dem von ihm entwickelten Biocylcer-Verfahren tatsächlich zum branchenweit besten Material für die Reduzierung von gefährlichen und giftigen Bauabfällen werden. Etwa „60 Millionen Tonnen Abfall [aus Bau- und Abbruchtätigkeiten] landen jedes Jahr auf Deponien“, so Maurer. „All diese Abfälle werden im Grunde nur in Treibhausgase umgewandelt, die in die Umwelt entweichen.“

Maurer und sein Team erkannten, dass die große Menge an Holz in den Abbruchmaterialien, die in seiner Heimatstadt Cleveland gefunden wurden, als Nahrung für die Pilze dienen konnte, die somit wachsen und dabei gefährliche Chemikalien aus der bebauten Umwelt effektiv beseitigen konnten.

„Pilze können durch Baustellen entstehende Verschmutzungen auf zwei Arten beseitigen“, so Maurer. „Petrochemikalien werden zum Beispiel durch Enzyme in kleinere, stabilere Molekülketten zerlegt. Bei Materialien wie Schwermetallen ist jedoch genau das Gegenteil nötig. Sie müssen mit größeren Molekülen gebunden werden, damit sie nicht mehr bioverfügbar sind.“

Beide Prozesse haben zur Folge, dass alle möglichen Giftstoffe auf verlassenen Baustellen von den Pilzen abgebaut werden. So ist etwa ein versehentlicher Verzehr nicht mehr gefährlich. Zudem wird verhindert, dass die Giftstoffe in den Boden oder das Grundwasser sickern, wenn die Materialien auf einer Deponie landen.

Wie können Entwicklungsländer von den Pilzen profitieren?

Während sich Maurers Arbeit in Cleveland auf den Abriss verlassener Gebäude und die Reduzierung der hohen Bauschadstoffbelastung in der Stadt konzentriert, hat er in Afrika bereits einen ähnlichen Ansatz verwendet, um Materialien herzustellen, die aus umweltfreundlicheren und nachhaltigeren Strukturen bestehen und so eine Lösung für die Nahrungsmittelknappheit darstellen könnten.

„Ich habe lange Zeit in Entwicklungsländern gearbeitet und dabei gelernt, wie der Mensch mit begrenzten Ressourcen auskommen kann“, berichtet Maurer. „Ich wusste, dass Ernährungssicherheit ein großes Thema ist, ebenso wie umweltfreundlicher Bau bzw. der Bau mit begrenzten Ressourcen. Ich habe also überlegt, ob ich diese beiden Dinge kombinieren könnte, und ein Konzept für Flüchtlingsunterkünfte mit gleichzeitiger Herstellung von Lebensmitteln und Baumaterialien entwickelt. In beiden Bereichen könnten während des gesamten Prozesses Arbeitsstellen und andere wirtschaftliche Möglichkeiten für die Menschen geschaffen werden.“

In Zusammenarbeit mit der Standard Bank, Afrikas größter Bank, haben Maurer und sein Team ein Projekt gestartet, das auf dieser Idee basiert und zudem darauf abzielt, die Auswirkungen einer invasiven Art zu reduzieren. „In Namibia gibt es ein Problem mit einem Busch, der sich im Land immer weiter ausbreitet und zur Wüstenbildung beiträgt“, erläutert Maurer. „Wir haben entdeckt, dass er sich hervorragend als Futter für essbare Pilze eignet. Wir haben also eine Farm aufgebaut, wo wir dieses Substrat nehmen und Pilze darauf werfen. Die Pilze werden geerntet, auf den Markt gebracht und so dazu verwendet, um Menschen zu ernähren und Einkommen zu generieren. Das Abfallmaterial wird dann wiederum zur Herstellung von Baumaterialien verwendet.“

Ein ökologischeres Material

Während Pilze immer weiter erforscht werden, ist Maurer bereits davon überzeugt, dass sie zu einer wertvollen Ressource für umweltfreundlichere Baustellen werden könnten.

„Wir sind optimistisch, dass viele verschiedene Baumaterialien auf dem Markt durch Pilze ersetzt werden können“, so Maurer. „Was wir in Namibia herstellen, lässt sich mit einem Betonblock vergleichen. Die Druckfestigkeit ist etwas geringer als bei einem durchschnittlichen Betonblock. Aber es ist auch ein Lebensmittel. Es ist eine Ressource im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Es wird Abfallmaterial verwertet, es werden daraus Lebensmittel produziert und es wird Kohlendioxid gespeichert. Damit kann man so viele nützliche Dinge tun und das Material speichert tatsächlich Kohlenstoff. Aus der Verwendung des Materials ergeben sich also viele zusätzliche Vorteile. Der Tausch von Betonblöcken gegen Pilze sieht wirklich vielversprechend aus.“

Sobald die Technologie voranschreitet und die Herstellung größerer Materialplatten ermöglicht, könnten Myzel-Blöcke laut Maurer tatsächlich eine noch umweltfreundlichere Alternative zu Holzwerkstoffen darstellen. „Man könnte sehr schnell damit bauen. Man würde allerdings statt frischem Holz Abfallmaterial verwenden und entweder anhand des Biocycler-Verfahrens oder durch die Herstellung von Lebensmitteln oder Medizinprodukten aus dem Recyclingprozess dieser Abfallbiomasse noch zusätzlich positive Effekte erzielen“, meint Maurer.

Da die ökologischen Auswirkungen der Baubranche weiterhin Anlass zur Sorge geben, glaubt Maurer, dass die Attraktivität von Myzel zunehmen wird. „Fertigungsunternehmen und Regierungen suchen nach kohlenstoffneutralen oder sogar kohlenstoffbindenden Materialien“, so Maurer. „Diese Biomaterialien werden den Weg in eine Zukunft weisen, in der der Fokus auf Netto-Null-Emissionen und ähnlichen Themen liegt.“

Diese Technologien sind entscheidend, wenn es darum geht, die gesamte Bauindustrie dabei zu unterstützen, so nachhaltig wie möglich zu wachsen. „Es muss einfach passieren“, meint Maurer. „Wir sprechen von einem Szenario, in dem wir den Fußabdruck aller Gebäude auf dem Planeten bis 2060 verdoppeln würden. Wenn wir mit den derzeitigen Methoden weiterbauen, verschärfen wir das Klimadesaster, das zurzeit Chaos auf unserem Planeten anrichtet, nur zusätzlich. Es muss sich etwas bewegen.“ Können Pilze eine Lösung dafür sein?