Was ist Biomimikry?
Biomimikry bedeutet, dass der Mensch sich bestimmte Merkmale aus Flora und Fauna zu eigen macht, um sie in neuen Produkten und modernster Technik anzuwenden, wodurch unser Leben vereinfacht werden soll. Glücklicherweise hat die Natur im Laufe der Zeit unzählige clevere Designs hervorgebracht, die Tieren und Pflanzen dabei helfen, in ihrer Umwelt zu gedeihen. Uns wiederum können einige dieser Konzepte dabei helfen, die Gebäudeeffizienz sowie die Effektivität unserer Maschinen zu verbessern.
Tatsächlich beschäftigt sich der Mensch bereits seit vielen Jahrhunderten mit der Frage, wie er die Erfindungen der Natur für sich nutzen kann. Ein gutes Beispiel hierfür bietet uns die griechische Mythologie mit der Geschichte des Ikarus. Dieser wurde der Erzählung nach gemeinsam mit seinem Vater Dädalus auf der Insel Kreta gefangen gehalten. Erfindungsreich wie sie waren, ersannen die beiden kurzerhand die Idee, sich mit Wachs Federn an ihre Arme zu kleben, um ihrem Gefängnis vogelgleich zu entfliehen.
Leider ignorierte Ikarus die Bitten seines Vaters, nicht zu nahe an der Sonne zu fliegen. Das Wachs an seinen Flügeln schmolz, er verlor seine Federn und stürzte in den Tod.
Diese Geschichte ist natürlich nur eine Legende, doch sie veranschaulicht ganz gut, wie der Mensch sich die Natur zum Vorbild nehmen kann, um seine eigenen natürlichen Fähigkeiten noch zu verbessern. Auch Leonardo da Vinci holte sich im 16. Jahrhundert für das Design seiner Flugmaschine Inspiration von den Flugfähigkeiten von Vögeln (obwohl die schwere Maschine wohl Schwierigkeiten gehabt hätte, vom Boden abzuheben, da dafür eine besonders hohe Triebkraft vonnöten gewesen wäre). Auch heute, mehr als 500 Jahre später, suchen und finden Ingenieure immer wieder neue innovative Ideen in der Natur, allerdings mit wesentlich durchschlagenderen Ergebnissen.
Moderne Beispiele für Biomimikry
Während da Vinci seinen Zeitgenossen mit seinem Biomimikry-Ansatz um einiges voraus war, findet man heute unzählige Beispiele dieses Designkonzepts.
Eine solche Erfindung geht etwa auf den US-amerikanischen Biologieprofessor Frank Fish zurück. Er fand heraus, dass die Höcker (auch Tuberkel genannt) an der Vorderkante der Flossen von Buckelwalen den Tieren dabei helfen, sich bei der Nahrungssuche in engen Kreisen zu drehen. Sie optimieren quasi die „Aerodynamik“ der Tiere.
Durch spätere Experimente, bei denen diese „Technik“ des Wals in modifizierter Form an Windturbinenflügeln, Ventilatoren und Schiffsrudern getestet wurde, konnten diese aerodynamischen Merkmale noch weiter verstärkt werden. Es gab sogar den Vorschlag, auch die Tragflächen von Flugzeugen mit solchen Höckern auszustatten, um durch den Wegfall von Steuerflächen, die zur Änderung der Überzieheigenschaften erforderlich sind, die Flugsicherheit sowie die Treibstoffnutzung zu optimieren.
Biomimikry in der Architektur: The Gherkin
Auch in der Architektur gibt es viele Beispiele von Biomimikry. So etwa der Wolkenkratzer „The Gherkin“, der aus der Skyline der Londoner Innenstadt nicht mehr wegzudenken ist (auch bekannt unter seiner Adresse: 30 St Mary Axe).
Auch wenn das Gebäude die Form einer Gewürzgurke (auf Englisch „gherkin“) hat, war diese nicht die eigentliche Inspiration für sein außergewöhnliches Design. Die äußere, gitterartige Struktur von The Gherkin imitiert den Körperaufbau des Gießkannenschwamms. Dieses besondere Design sorgt dafür, dass die Luft an der Außenseite des Gebäudes entlang geführt wird, was Architekt Norman Foster für die Implementierung eines natürliches Belüftungssystem nutzte. Dieses wird durch großer Lufteinlässe auf Bodenebene unterstützt, sodass der Einsatz komplementärer Klimatechnik um beeindruckende 50 % reduziert werden konnte.
Von Europa aus machen wir einen kurzen Abstecher nach Afrika, genauer gesagt nach Simbabwe. Hier finden wir ein Gebäude, dessen Design auf dem Konstruktionskonzept einer kleinen und sehr arbeitsamen Tierart basiert. Die Belüftungstechnik des Einkaufszentrum Eastgate Centre ist inspiriert von den riesigen Hügeln, die von Termiten gebaut werden.
Diese Hügel, die mehrere Meter hoch werden können, dienen den darunter lebenden Termiten als Belüftungsvorrichtungen – ein einzigartiges Luftstromsystem, das die effizienzbewussten Designer des Centres ansprach.
Architekt Mick Pearce plante für dieses Projekt eine natürliche Belüftung und Kühlung ein, um die hohen Kosten zu vermeiden, die üblicherweise mit der Temperaturkontrolle in Glasgebäuden einhergehen.
Meisterhaftes Myzel, praktisches Plastik
Auch Pilze können Vorbildfunktion haben: Das in London ansässige Unternehmen Biohm hat eine Dämmplatte für die Baubranche entwickelt, bei der die vegetative Fadenwurzelstruktur von Pilzen, das sogenannte Myzel, zum Einsatz kommt.
Das Unternehmen behauptet, dass mit Myzel hergestellte Dämmplatten bessere Wärme- und Brandeigenschaften aufweisen als konkurrierende Produkte ohne Myzel, und dass sie auch nachhaltiger sind, da das Myzel organische und synthetische Abfälle verarbeiten kann, die sonst auf der Mülldeponie landen würden.
Etwas weiter nördlich an der University of Cambridge haben Forscher eine kunststoffähnliche Folie aus Sojaproteinen entwickelt, die die Eigenschaften von Spinnenseide nachahmt – eines der stärksten Materialien der Natur.
Nach Angaben der Universität ist es den Forschern gelungen, die Struktur von Spinnenseide mithilfe von Sojaproteinisolat zu imitieren. „Da Proteine aus Polypeptidketten bestehen, können wir unter den richtigen Bedingungen Pflanzenproteine dazu bringen, sich wie Spinnenseide selbst zusammenzufügen“, erklärt Professor Tuomas Knowles vom Yusuf Hamied Department of Chemistry in Cambridge.
Vielleicht sollte auch im Baugewerbe – oder bei Ingenieurprojekten im Allgemeinen – das Prinzip der Biomimikry öfter umgesetzt werden. Leider scheint es in der Investorencommunity noch einen gewissen Widerstand dagegen zu geben.
Biomimikry – Innovation vs. Investitionsprobleme
Michael Pawlyn, Gründer der biomimetischen Architekturfirma Exploration Architecture in London, erklärte dem Institute of Mechanical Engineering, dass die Umsetzung von Biomimikry im Architekturwesen teilweise durch die Logistik und Kosten blockiert wird, die mit der Forschung und Entwicklung verbunden sind.
„Auf Biomimikry basierende Innovationen haben bestimmte Vorteile gegenüber anderen Ansätzen. Der wichtigste ist, dass Biomimikry auf Ideen beruht, die sich bereits in der Natur bewährt haben. Aber viele dieser Ideen erfordern erst noch einen angemessenen Recherche- und Entwicklungsprozess, was angesichts der Beschränkungen herkömmlicher Projekte schwierig sein kann“, erklärt Pawlyn.
„Das andere große Hindernis ist, dass wir häufig Lösungen vorschlagen, die uns zwar langfristige Vorteile bieten – ökologische, wirtschaftliche und soziale –, aber kurzfristig etwas teurer sind.“
Diese Zurückhaltung wird zukünftig sicherlich schwinden, da verschiedene Bemühungen um Effizienz und Nachhaltigkeit innerhalb unserer Gesellschaft – und insbesondere in der Baubranche – angesichts der Aufrufe zur Bekämpfung des Klimawandels an Dynamik gewinnen.