Illustration von Kim Salt
Es ist kein Geheimnis, dass die Baubranche einer der sich am schnellsten entwickelnden Sektoren der Weltwirtschaft ist. Angesichts branchenweiter Veränderungen wie der digitalen Transformation sowie des Einsatzes von 3D-Druck und modularer Bautechnik erlebt das Baugewerbe wohl die tiefgreifendsten Veränderungen seit der industriellen Revolution.
Laut Dr. Jack Dennerlein, Co-Direktor am Harvard Center for Work, Health and Well–being, können diese Veränderungen zu verstärkten Ängsten bei den Arbeitnehmern führen. Insbesondere Arbeitnehmer mit langjähriger Berufserfahrung fürchten, dass sie durch den Einfluss neuer Technologien in der Baubranche womöglich den Anschluss verlieren. Zudem werden solche Ängste in den meisten Fällen nicht von Seiten des Unternehmens angesprochen.
„Das Problem besteht darin, dass innerhalb des Unternehmens konkurrierende Anforderungen bestehen“, sagt Dennerlein. Das Vorhaben, die Geschwindigkeit oder Effizienz durch den Einsatz neuer Technologien zu steigern, kann durch eine ineffiziente Kommunikation innerhalb der Organisation gebremst werden. Mitarbeiter fürchten, dass solche schnellen Veränderungen ihren Arbeitsplatz gefährden könnten.
Wie sollte man angesichts solcher Widerstände technologische Veränderungen am besten einführen? Laut Dennerlein sollte man sich auf das große Ganze konzentrieren.
Arbeitsplatzkultur gestalten
Wenn größere Veränderungen am Arbeitsplatz in einer Zeit des technologischen Fortschritts in der Baubranche vollzogen werden sollen, ist es wichtig, dass sich Unternehmen ein realistisches Verständnis über die Funktionen ihrer Organisation verschaffen.
„Im Mittelpunkt stehen soziotechnische Systeme, d. h. die Organisationsstruktur des Baugewerbes und welchen Einfluss sie auf die Gesundheit, Sicherheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter hat“, erklärt Dennerlein. „Unser Augenmerk liegt darauf, wie die Arbeit organisiert ist, welche Anforderungen an die Mitarbeiter gestellt werden und wie diese von ihren Vorgesetzten unterstützt werden – wir untersuchen die soziale, technische und organisatorische Struktur.“
Nur wenn ein genaues Verständnis von der einzigartigen Struktur und den Anforderungen einer bestimmten Arbeitsumgebung entwickelt wurde, können Bauunternehmen dazu übergehen, die größeren technologischen und zwischenmenschlichen Veränderungen auf den Weg zu bringen, die heute von der sich rasant entwickelnden Branche verlangt werden.
In diesem Zusammenhang empfiehlt Dennerlein Folgendes: Möchte man ein neues Konzept oder eine fortschrittliche Technologie einführen, sollte man zuerst ein tiefgreifendes Verständnis von der Funktionsweise des Unternehmens erlangen und dann ermitteln, inwiefern die vorgeschlagenen Veränderungen den speziellen Anforderungen des Unternehmens entsprechen werden.
„Jede Unternehmensstruktur ist anders. So unterscheiden sich die Persönlichkeiten der Mitarbeiter und die betrieblichen Herausforderungen und all das spielt da hinein“, so Dennerlein. „Pauschale Lösungsansätze sind daher nicht wirklich hilfreich, auch wenn Sie sich diese vielleicht wünschen. Lösungen, die sich selbstständig anpassen und aufrechterhalten, sind dagegen erstrebenswert.“
Anstatt den Mitarbeitern ein fertiges Produkt zu präsentieren – sei es eine technische Veränderung oder eine Änderung der Verantwortlichkeiten und die daraus resultierende Unternehmensstruktur –, sollten die Mitarbeiter beim Entscheidungsfindungsprozess miteinbezogen werden, damit sie erkennen, dass sie persönlich zum Unternehmenswachstum beitragen.
Widerstand gegen Veränderungen abbauen
Das Center for Work, Health and Wellbeing verfügt über ein spezifisches Verfahren mit dem sich feststellen lässt, welche Veränderungen in einer Arbeitsumgebung während einer Zeit erfolgen müssen, in der die Auswirkungen aufkommender Technologien in der Baubranche zu spüren sind.
Obwohl die zu bewältigenden Probleme unterschiedlich sind und in Unternehmen jeder Größe – von multinationalen Konzernen bis hin zu kleinen Firmen – auftreten, beginnt alles mit der gleichen Frage an die Mitarbeiter und alle Beteiligten, so Dennerlein.
„Wir sprechen darüber, was gut läuft“, erzählt Dennerlein und erklärt, dass sein Unternehmen den Arbeitnehmern immer Raum gibt, die positiven Aspekte ihrer Arbeit wertzuschätzen und gut funktionierende Systeme und Technologien im Unternehmen hervorzuheben.
„Wenn wir darüber sprechen, was funktioniert, dann konzentrieren sich die Mitarbeiter automatisch auf das Positive“, fährt er fort. Wir ermutigen die Mitarbeiter, den Fokus auf die gut funktionierenden Aspekte ihrer Arbeit zu legen und stolz auf ihren Beitrag zu sein, den sie an ihrem Arbeitsplatz leisten. Auf diese Weise haben sie ein funktionierendes Modell vor Augen und verstehen, wie die gemeinsam durchgeführten Veränderungen dazu beitragen, die positiven Aspekte hinsichtlich der Funktionsweise des Unternehmens zu fördern.“
Durch diesen positiven Fokus am Anfang verstehen die Mitarbeiter, wie ihr Beitrag zur Veränderungen die gesunde Funktionsweise des gesamten Unternehmens unterstützt – und zwar in einer Zeit, in der neue Technologien für einen stetigen Wandel in der Baubranche sorgen. Darüber hinaus erfahren die Mitarbeiter, wie ihr eigener Arbeitsalltag durch die Veränderungen verbessert wird.
„Es entsteht ein Dialog, durch den Lösungen und Ideen besprochen und das Verständnis von Konzepten geklärt werden können“, sagt Dennerlein. „Der Fokus auf das Positive liefert die nötige Inspiration, um an vergangene Erfolge anzuknüpfen.“
Wenn bei anstehenden Veränderungen die positiven Aspekte in den Mittelpunkt gerückt werden, dann arbeiten Mitarbeiter und Führungskräfte im Team zusammen und verstehen, dass sie auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Wenn es um die Umsetzung von Veränderungen geht, sollte man laut Dennerlein Folgendes beachten: „Gehen Sie nicht nur Ihre Schwächen an, sondern bauen Sie stattdessen auf Ihren Stärken auf.“
Fokus auf Kommunikation
Der häufigste Grund, warum Veränderungen bei Mitarbeitern Stress auslösen oder eine geplante technologische Veränderung ins Stocken gerät, liegt an Kommunikationsstörungen im Unternehmen. „Es gibt zahlreiche Gelegenheiten, wo die Kommunikationskette unterbrochen werden kann“, sagt Dennerlein.
Besonders in multinationalen Organisationen kann es vorkommen, dass Veränderungen, die zwar lokal Sinn machen, ins Stocken geraten, wenn sie auf die globale Ebene ausgeweitet werden – vor allem dann, wenn von der Führungsebene kein ganzheitlicher Ansatz verfolgt wird.
„Bei einer multinationalen Organisation gibt es verschiedene Standorte mit unterschiedlichen Kulturen, wo jeweils verschiedene Probleme auftreten können wie z. B. Südamerika vs. Nordamerika oder sogar Texas vs. Massachusetts“, sagt Dennerlein. Aber solche Probleme können auch in kleineren Unternehmen auftreten, wenn Unterschiede in der Unternehmenskultur bestehen oder Kommunikationsstile bereits in den verschiedenen Abteilungen variieren.
Dennerlein hält es daher für wichtig, dass die Führungsebene über Erfahrungen und Bedenken der an vorderster Front stehenden Mitarbeiter Bescheid weiß, wenn Veränderungen im Unternehmen durchgeführt werden sollen.
„Egal, wie groß eine Organisation ist, die Führungsebene muss wissen, wie es an vorderster Front aussieht“, betont Dennerlein. „Manager sollten darüber im Bilde sein, was im gesamten Unternehmen vor sich geht, und sich bewusst machen, dass ihre Entscheidungen Auswirkungen auf die gesamte Belegschaft haben können. Wenn es um die Durchsetzung von Veränderungen geht, ist es wichtig, zu verstehen, dass das gesamte Unternehmen eine neue Strategie umsetzen wird. Führungskräfte müssen sich darüber im Klaren sein, dass eine solche Strategie das Unternehmen in seiner Gesamtheit betrifft.
Um dieses Verständnis zu erlangen und Veränderungen auf psychologisch und organisatorisch kohärente Weise umzusetzen, müssen Führungskräfte lernen, ihr Unternehmen in seiner Gesamtheit wahrzunehmen und zu verstehen, wie vernetztes Arbeiten und Kommunizieren eine produktive Atmosphäre schaffen kann.
„Die gesamte Unternehmensinfrastruktur muss sich mit den Mitarbeitern an vorderster Front austauschen“, erklärt Dennerlein. „Auf diese Weise kann ein Dialog stattfinden. Dadurch wird ein sicherer psychologischer Raum geschaffen, in dem Mitarbeiter ihren Vorgesetzten Rückmeldungen darüber liefern können, welche Auswirkungen und Folgen die Entscheidungen der Führungsebene auf sie und ihren Arbeitsalltag haben.“
Nur durch die Schaffung dieses kohärenten Verständnisses kann ein Unternehmen Veränderungen effektiv umsetzen.