Der Erdbau, also das Bauen mit Erdstoffen, zählt zu den ältesten menschlichen Bautechniken. Von steinzeitlichen Langbetten in Nordeuropa bis zu den imposanten Terrassenanlagen der Inka legen in vielen Teilen der Welt Erdbauten ein Zeugnis längst untergegangener Kulturen ab.
Aktuell arbeiten Wissenschaftler:innen an einem Projekt, das diese jahrtausendealte Bautechnik als zukunftsweisenden Beitrag zum Klimaschutz nutzbar machen soll. Das Team an der University of Virginia hat mithilfe experimenteller 3D-Druckverfahren eine neue Methode entwickelt, „lebendige“ Wände zu bauen. Dabei handelt es sich um pflanzenbewachsene Strukturen, in denen sich Funktion und Ästhetik vereinen.
Wir haben mit Prof. Ehsan Baharlou, der das Forschungsprojekt federführend mitbetreut, über das enorme ökologische und kreative Potenzial dieser uralten Bautechnik und über die Perspektiven gesprochen, die sie für mehr Nachhaltigkeit im Planungs- und Bauwesen verspricht.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Ursprünglich sei die Idee, die jahrtausendealte Erdbautechnik mit innovativen 3D-Druckverfahren zu kombinieren, aus Gesprächen mit Kolleg:innen aus unterschiedlichen Fachbereichen entstanden, berichtet Baharlou.
Geboren wurde der Gedanke laut Baharlou aus einer gemeinsamen Faszination für die Geschichte des Erdbaus und sein bislang ungenutztes Innovationspotenzial:
„Erde kommt seit Tausenden von Jahren als Baustoff zum Einsatz. Erst seit Kurzem besteht jedoch die Möglichkeit, sie im 3D-Druckverfahren zu verarbeiten. Bei dem Projekt ging es uns darum, 3D-Drucksysteme um neue Funktionen zu erweitern, indem wir einen Werkstoff, der ohnehin eine niedrige CO2-Bilanz aufweist, mit einem Verfahren kombiniert haben, das aktiv zur Absorption von Kohlenstoff aus der Atmosphäre beiträgt und auf diese Weise dem Wandsystem eine zusätzliche funktionale Eigenschaft verleiht.“
Baharlou und sein Team haben diese Idee durch das Anreichern des Druckwerkstoffs mit Keimsaat verwirklicht. „Wir wollten einen natürlichen Werkstoff entwickeln, der Pflanzen durch die richtige Boden- und Luftfeuchtigkeit und die entsprechende Umgebungstemperatur beim Keimen und Blühen unterstützt“, erläutert Baharlou. „Aus den Samen werden Pflanzen, die Wurzeln bilden und Nährstoffe aus dem Boden aufnehmen. Diese Pflanzen binden dann Kohlenstoff aus der Atmosphäre.“
Technologische Fortschritte bringen Vorteile für die Umwelt
Der Erdbau zeichnet sich ohnehin durch eine vergleichsweise geringe Umweltbelastung aus. Baharlous Team ist es gelungen, das klimafreundliche Potenzial dieser Baumethode durch den Zusatz von Keimsaat noch zu optimieren.
„Durch Verwendung von Werkstoffen aus der Region, was beim Bau von Erdwänden möglich ist, können wir die CO2-Emissionen vermeiden, die bei herkömmlichen Baumethoden durch Transport, Verarbeitung und weitere kohlenstoffintensive Verfahren entstehen“, so Baharlou. „Deswegen wollten wir nach Möglichkeit einen Prozess konzipieren, bei dem Erde direkt hier aus Virginia verarbeitet wird. Wir haben zunächst eine Reihe von Tests zur Bestimmung der Bodeneigenschaften durchgeführt, bevor wir im nächsten Schritt unsere Biozusatzstoffe entwickelt und den erdbasierten Werkstoff für den Druck vorbereitet haben.“ Neben ihrer Eignung als Baustoff sei er auch von den ästhetischen Qualitäten der roten Tonerde begeistert, fügt Baharlou hinzu.
Nach der Entwicklung eines geeigneten Werkstoffs befasste sich das Team mit der Frage nach dem optimalen Bauverfahren. „Letztlich entschieden wir uns für ein robotergesteuertes Druckverfahren, von dem wir uns mehr Kontrolle über die Präzision und Qualität des Druckvorgangs versprachen“, berichtet Baharlou. „Den Ausgangspunkt bildete das Konzept, dass die Architektur eine angewandte Wissenschaft ist. Wir druckten zunächst kleinere Objekte und skalierten das Verfahren sukzessive auf immer größere Strukturen.“ Als Nächstes will sein Team ein symbolträchtiges Projekt in Angriff nehmen: die Nachbildung eines architektonischen Wahrzeichens als pflanzenbewachsene Struktur aus Erde. Konkret handelt es sich um die schlangenförmig gewundenen Mauern nach Plänen von Thomas Jefferson, die die Gartenanlagen der University of Virginia umgeben.
Bei Bauprojekten mit 3D-Druckern sind Roboter in der Regel fürs Mischen und Drucken zuständig, aber Baharlous Team übertrug den Robotern eine etwas andere Aufgabe: Samen zu pflanzen. „Unser Verfahren sieht so aus, dass wir Erde drucken, Erde mischen, Samen in die Erde einmischen und dann wieder von vorne anfangen“, wie er erläutert. „Wir können dem Roboter beibringen, zwischen der keimenden Außenseite der Wand und der nicht-keimenden Innenseite zu unterscheiden.“
In der Discovery-Phase achtete Baharlous Team penibel darauf, bei sämtlichen Schritten den Nachhaltigkeitsaspekt zu priorisieren. „Uns ging es darum, ein System zu entwickeln, das einerseits eine möglichst unkomplizierte Realisierung von Bauprojekten unterstützt, damit Bauträger schnell auf die Nachfrage nach zusätzlichen Wohnungen reagieren können. Andererseits sollte es aber auch den Ansprüchen einer möglichst lückenlosen Wiederverwertungs- und Rückgewinnungskette genügen“, so Baharlou.
Jahrtausendealte Techniken treffen auf zukunftsweisende Technologien
Die Andenbewohner:innen pflanzten einst Gräser an, um dem lockeren Steppenboden mehr Stabilität zu geben. Eine ähnliche Wirkung lasse sich auch durch das Beimischen von Saatgut in das Druckmaterial für seine Wände erzielen, so Baharlou.
„In der Landschaftsarchitektur werden Pflanzen gezielt zum Verhindern von Erosion eingesetzt“, meint er. „Wir sind auf die Idee gekommen, uns das gleiche Prinzip zunutze zu machen, um den 3D-gedruckten Erdwänden, die immer beliebter werden, mehr Stabilität zu verleihen.“
Sein Team hatte zudem die Hoffnung, durch den kreativen Einsatz von winterharten Keimpflanzen, wie z. B. Weißklee, umweltfreundlichere Alternativen zu chemischen Zusatzstoffen in 3D-Druckmaterialien entwickeln zu können.
„Beim Betondruck werden bestimmte Rezepte für den Bau unterschiedlicher Strukturen immer wieder repliziert“, erläutert Baharlou. „Wir hatten die Hoffnung, dass wir ein eigenes Rezept entwickeln konnten, das auf einem biobasierten Zusatzstoff zur Verbesserung der Stabilität basiert, mit dem man genauso beständige Strukturen bauen kann.“
Möglich war die Fertigung dieser lebendigen Strukturen nur mithilfe innovativer materialwissenschaftlicher Techniken. „Die Arbeit mit so vielen unterschiedlichen Schichten, die nicht aus Feststoffen bestehen, ist mit erheblichen Herausforderungen verbunden, was z. B. die Aushärtezeit betrifft“, präzisiert Baharlou. „Dabei ergab sich das Problem, einen Bodenwassergehalt zu ermitteln, bei dem die Samen keimen können, der aber wiederum die Aushärtung des Baustoffs nicht verhindert.“
Zudem sei das Projekt immer wieder an die Grenzen dessen gestoßen, was mit den aktuell verfügbaren 3D-Drucktechnologien machbar ist. „Im Hinblick auf die Geometrie hatten wir keinen unbegrenzten Spielraum“, erzählt Baharlou. „Wir haben dann beschlossen, die Möglichkeiten der Technologie auszureizen, indem wir mit unterschiedlichen Texturen und Mustern experimentieren, mussten aber gleichzeitig auf den Feuchtigkeitsgehalt der gedruckten Wände achten.“
Bei der Planung habe sich das Team von der langen Tradition erdbasierter Baukunst und den spannenden Perspektiven inspirieren lassen, die sich aus der Kombination uralter Methoden mit brandneuer Technologie ergeben. „Die Verbindung zwischen Erde und Architektur ist schließlich keine neue Idee“, wie Baharlou resümierend anmerkt.