Illustration von Kim Salt
Verglichen mit anderen Branchen wurden neue Technologien im Baugewerbe nur schleppend übernommen.
In einer KPMG-Umfrage von 2018, bei der über 4.000 Chief Information Officers befragt wurden, gaben nur 23 % der Befragten aus der Baubranche an, eine Unternehmensvision und -strategie für Digitales zu haben. Damit liegt der Wert um 9 % niedriger als in anderen Branchen. Zudem gaben mehr als die Hälfte (54 %) der Befragten aus der Baubranche an, dass ihr Unternehmen überhaupt keine Vision und Strategie für Digitales habe.
Tatsächlich gibt es vielfältige und komplexe Gründe für den Verzug bei der Implementierung von Technologie in der Bauindustrie, doch zwei Hauptgründe stechen dabei hervor: Erstens wird die Pionierarbeit bei den digitalen Lösungen meist von hochqualifizierten Experten in Büros geleistet und zweitens hinken die auf der Baustelle Tätigen bei der Nutzung von Technologie hinterher.
Im Rahmen unserer fortlaufenden Blogserie, in der wir neue Sichtweisen auf Innovationen darstellen, möchten wir herausarbeiten, inwiefern digitale Technologien das Baugewerbe voranbringen und in welchen Bereichen Technologien vermehrt und besser implementiert werden könnten.
Wir stellen dar, wie einzelne Bauunternehmen ihre Arbeitsweise mithilfe von Technologien weiterentwickeln und gehen gleichzeitig auf Einschränkungen ein, die verhindern, dass Technologien in allen Bereichen der Branche umfassend implementiert werden.
Verzögerte Umsetzung
Die verzögerte Einführung neuer Technologien in vielen Unternehmen begründet sich in der Vertragsstruktur, die den meisten Großprojekten zugrunde liegt. Wenn Auftragnehmer und Unternehmen Angebote aushandeln, werden sie angehalten, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Oftmals werden deshalb technologische Neuerungen als Erstes aus der Kalkulation gestrichen. Wenn es auch bisher ohne Augmented Reality ging, geht es auch weiter ohne – so die übliche Begründung. Und ohne diesen Kostenpunkt wird das Projekt deutlich günstiger umgesetzt.
Natürlich wird hierbei missachtet, dass neue Technologien Projekte effizienter machen: Kostspielige Fehler können vermieden, Baustellen sicherer gemacht und Kosten eingespart werden. Doch Auftragnehmer, besonders Kleinunternehmer, die mit verschwindend geringen Gewinnspannen arbeiten, nehmen solche Investitionen zunächst als wenig rentabel wahr. Zudem schreckt die Auftragsstruktur die gesamte Branche von Risiken und langfristigen Investitionen ab und präferiert stattdessen bekannte und kostengünstige Optionen.
„Am stärksten wird der Einsatz neuer Technologien durch Zögern und den nicht sofort ermittelbaren ROI behindert“, so Lizz Babin, Chief Operating Officer beim technischen Beratungsunternehmen PACE Group LLC in New Orleans. „Zunächst entstehen Kosten – der Wert der Investition zeigt sich erst nach der Implementierung.“
Erschwert wird das Zögern der Baubranche, neue Technologien einzusetzen, durch die Tatsache, dass die Berechnung der Investitionsrentabilität einer neuen Technologie ein zeit- und kostenaufwendiges Unterfangen ist. Zudem wird der Markt mit neuen Plattformen überflutet, wodurch es umso schwieriger wird, verschiedene Optionen abzuwägen und zu vergleichen und in kurzer Zeit den ROI zu berechnen.
„In den vergangenen zwei Jahren sind vermehrt Plattformen aufgetaucht, die sehr ähnliche Dienste anbieten“, so Gautam Shenoy, BIM-Beauftragter des Architektenbüros Steinberg Hart in Los Angeles.
Shenoy nahm sich der Aufgabe an, verschiedene Technologielösungen zu vergleichen und herauszufinden, in welcher Hinsicht Steinberg Hart mit ihnen Zeit und Geld sparen könnte. Doch viele Unternehmen wenden keine Zeit für solche Analysen auf: In der eingangs erwähnten Befragung von KPMG wurde auch erfasst, ob die Unternehmen einen Chief Digital Officer oder jemanden in einer vergleichbaren Position in Vollzeit beschäftigen. Nur 42 % der befragten Chief Information Officers antworteten darauf mit „Ja“ – das sind 8 % weniger als in anderen Branchen.
Informiert bleiben
Dem restlichen Unternehmen oder den Kunden die Vorzüge einer neuen Technologie schmackhaft zu machen, geht oftmals auch mit Schwierigkeiten einher. Babin und Shenoy sind sich aber einig, dass Aufklärung das A und O ist. Babin empfiehlt, die Kunden nicht zu überfordern und ihnen den Nutzen der Investition ganz praktisch zu vermitteln, sodass sie einen Mehrwert für ihre alltäglichen Abläufe erkennen.
„In solchen Situationen kommt es vor, dass man mit Kunden Anfang 50 arbeitet, denen ein Headset mit integrierter virtueller Realität noch nie untergekommen ist“, so Babin. „Wir drängen diese Möglichkeiten niemandem einfach gedankenlos auf. Stattdessen führen wir den Umgang damit vor. Die Kunden sind fasziniert und wollen dann selbst ausprobieren, wie das funktioniert.”
Mit der allgemeinen Verbreitung von BIM-Technologien und anderen Technologien treten logistische Herausforderungen auf Baustellen auf, die beseitigt werden wollen.
Tim Cuga-Moylan, Planungsdirektor und BIM-Ausbilder bei Gurtz Electric Co. nahe Chicago, betont, dass es in vielen Fällen schon daran scheitert, dass es auf Baustellen an einer Internetverbindung mangelt. Die beschriebenen Softwarelösungen weisen allesamt einen großen Nutzen auf, sind jedoch cloudbasiert und demnach ohne schnellen Internetzugang quasi nutzlos.
Cuga-Moylan sagt, der allmähliche Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes werde viele dieser Probleme beheben. Auftragnehmer müssten allerdings Wege finden, den Beschäftigten auf der Baustelle Zugang zu den digitalen Daten zu verschaffen.
„Jetzt, wo die Verantwortlichen daran Gefallen finden, möchten sie die Vorteile auch nutzen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Daten schnell zur Verfügung stehen“, resümiert Cuga-Moylan.
Der Aufholprozess
Trotz dieser Herausforderungen holt die Baubranche beim Thema Technologie langsam auf.
Mehr und mehr Unternehmen begrüßen den Mehrwert digitaler Lösungen und Konzepte wie Lean Construction und verschaffen sich damit Vorteile. Um den Rückstand gegenüber anderen Branchen aufzuholen, muss das Baugewerbe seine Arbeitskräfte weiterhin mit Nachdruck und Enthusiasmus aufklären und zudem längerfristig planen und investieren.
Der Kauf von Augmented-Reality-Headsets für ein ganzes Team mag momentan nach einer unvernünftigen Ausgabe klingen. Doch wer sich später mit zukunftsorientierten Auftragnehmern messen muss, die Technologien zu ihrem Vorteil einsetzen, und dann viele Aufträge verliert, hat an der falschen Stelle gespart.
Shenoy urteilt: „Jedes Büro, jeder Betrieb und jedes Unternehmen sollte sich mit Technologielösungen auseinandersetzen und sich darüber austauschen – und zwar nicht nur untereinander, sondern mit allen am Projektlebenszyklus Beteiligten.“ „Mit einer solch offenen und ehrlichen Kommunikation kann jede Investition in Technologie auch wirklich dabei helfen, das Optimum an Effizienz für jeden Prozess zu erreichen.“