Im Verlauf dieser weltweiten Pandemie von bisher unbekanntem Ausmaß hat die staatliche Anordnungen zur Arbeit im Homeoffice ein gewaltiges soziales Experiment in Gang gesetzt, das zur rasanten Weiterentwicklung des Zusammenspiels von Arbeits- und Privatleben beigetragen hat.Während die neuen Impfprogramme die sehnlichst erwartete Wiedereröffnung der Büros mit voller Kapazität herbeiführen sollen, haben die Menschen eine alternative und sehr verlockende Work-Life-Balance über einen längeren Zeitraum kennengelernt, die in vielen Unternehmen wohl Bestand haben wird.
Laut einer aktuellen Umfrage, die in The Independent veröffentlicht wurde, überlegen 42 % der Büroangestellten in London, an die Küste zu ziehen, und 41 % wünschen sich, von besserer Luftqualität profitieren zu können.Gleichzeitig häufen sich die Behauptungen, dass das Konzept von Büros in Stadtzentren, besonders in Hochhäusern, keine Zukunft mehr hat.Allerdings haben viele Branchen auch erkannt, dass die Kultur, die Mission und die Existenz eines Unternehmens von einem physischen Standort abhängig sind, wo sich die Angestellten treffen, zusammenarbeiten und austauschen können. Was also bedeutet das für die zukünftige Gestaltung von Stadtzentren?
Ziehen wir zur Beantwortung dieser Frage einmal die Anfangsmonate des Lockdowns heran.Im Mai und Juni 2020 verwandelte sich die dichte Londoner Innenstadt zu einem schon fast surreal ruhigen Ort ohne Verkehr, Berufstätige, Touristen und Menschen, die Besorgungen machten. Die Stadt war unheimlich still und die Luft sah nicht nur sauberer aus, sie fühlte sich auch so an.
Die Stille wurde nur gelegentlich von Geräuschen durchbrochen, die von den harten urbanen Flächen widerhallten. Besonders zu spüren war das im „Eastern Cluster“ der Stadt, wo die Anzahl der Hochhäuser besonders hoch ist.Kürzlich veröffentlichte Daten bestätigen für diesen Zeitraum eine Reduktion des Verkehrs in der Londoner Innenstadt um 78 %, wodurch der Stickstoffdioxidgehalt der Luft um 47 % sank und der Lärmpegel sich um gemessene 8 dB halbierte.Haben diese ungewöhnlichen Umstände eine Vorschau auf eine Zukunft mit Netto-Null-Emissionen geliefert?

Die Verbreitung von COVID-19 in einer Zeit, in der allgemeine Einigkeit über die Tatsache herrscht, dass die Menschheit an der Schwelle zu einer Klimakrise steht, hat die Entwicklung eines neuen Ansatzes beschleunigt.Die prognostizierten fundamentalen Veränderungen im Transport- und Energiewesen sowie im Bereich der digitalen Technologien können die Planung und den Betrieb von Hochhäusern schon heute beeinflussen.
Die erwartete Revolution im Transportwesen durch Elektrizität und Wasserstoffzellen sowie der kontinuierliche Umstieg auf Fahrräder als Transportmittel wird große Auswirkungen auf den dichten Stadtkern von London haben. Fußgänger, Radfahrer und Elektrofahrzeuge für die Warenauslieferung und Dienstleistungserbringung werden unsere Stadtzentren beherrschen. Der Klang der Stadt wird sich drastisch verändern. Gleichzeitig wird die Luft immer sauberer.
Sauberere Luft und ruhigere Innenstädte bieten eine Chance für den Einsatz natürlicher Belüftungsstrategien in Hochhäusern, um länger für angenehme Bedingungen in den Büros zu sorgen.Weitere Vorteile für die Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden ergeben sich durch den direkten Kontakt mit der Außenumgebung.
Gleichzeitig hat die rasante CO2-Reduktion in der landesweiten Energieversorgung eine der größten Veränderungen bei der Gestaltung von Bürogebäuden seit 50 Jahren losgetreten, die wir sie in dieser Form seit der Ölkrise in den 1970er Jahren nicht mehr erlebt haben. Der exponentielle Anstieg der Nutzung von Windenergie war im letzten Jahrzehnt phänomenal und hat allein in Großbritannien einen Kapazitätszuwachs von 1 GW auf 10 GW bewirkt. Das Vereinigte Königreich ist das weltweit führende Land in Sachen Offshore-Windenergie und verfügt über mehr installierte Kapazitäten als jedes andere Land. Durch große Investitionen sollen bis 2030 insgesamt 30 GW erreicht werden. Damit lassen sich alle Haushalte in Großbritannien versorgen.
Die radikalen Transformationsprozesse im Transport- und Energiewesen sowie die technischen Veränderungen durch die digitale vierte industrielle Revolution werden drastische Auswirkungen auf Klimaanlagen in Hochhäusern haben.
Viele Menschen nutzen bei der Arbeit inzwischen Laptops und Tablets mit niedrigem Energieverbrauch, greifen über die Cloud auf Daten zu und schließen Geräte nur dann an sparsame Bildschirme an, wenn es wirklich nötig ist. Die wahrscheinlich geringere Auslastung und flexiblere Raumaufteilung infolge der Pandemie werden außerdem die Wärmegewinne in Büros reduzieren.

Der Heizenergiebedarf in Büros ist von 25 W/m2 auf 15 W/m2 gesunken, wobei die kürzlich ins Leben gerufene London Energy Transformation Initiative (LETI) einen Climate Emergency Design Guide veröffentlicht hat, der eine weitere Reduzierung auf 8 W/m2 vorschlägt. Intelligente LED-Beleuchtungstechnologie hat zudem den Kühlungsbedarf gesenkt.
Die Veränderungen der Bürokultur, die vom Technologiesektor vorangetrieben wurden, haben einen eher legeren Dresscode in Büros herbeigeführt. Die Menschen passen ihre Kleidung jetzt der Jahreszeit an. Dies sorgt für mehr Flexibilität bei der Raumtemperatur von Büros und bietet die Möglichkeit, je nach Jahreszeit Energie zu sparen und die Maximalkapazität der Klimaanlagen zu reduzieren. In den heißen Sommermonaten sollten Unternehmen Temperaturen von bis zu 25 oC oder 26 oC in den Büros zulassen, anstatt die Gebäude mit einem gewaltigen Energieverbrauch ganzjährig auf 21 oC herunterzukühlen.
Ist das der Moment, den Gebäudeplaner nutzen sollten, um die Gestaltung von Büroräumen radikal zu ändern? Können Hochhäuser als Vorbild dienen?
Die positiven Veränderungen der Umwelt, die wir in den Städten während des Lockdowns beobachtet haben, sollten die Planung von Hochhäusern zukünftig inspirieren und als Vorbild für eine emissionsfreie Zukunft dienen.
Wir erleben derzeit ohne Zweifel einen „perfekten Sturm“. Die Bedingungen könnten nicht besser sein: Ruhigere Innenstädte, reinere Luft, saubere Energieversorgung und eine deutliche Reduzierung der Wärmegewinne in Büros durch Angestellte, die ihre Zeit zwischen Homeoffice und Büro für soziale Interaktionen aufteilen. All das kann uns in eine emissionsfreie Zukunft führen und zwar viel schneller als das aktuelle Versprechen des UK Green Building Council, bis 2030 den Gebäudebetrieb mit Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Es könnte die größten Auswirkungen auf die Planung von Hochhäusern haben, seit die ersten Aufzüge 1931 im Empire State Building installiert und die erste Klimaanlage 1928 im Milam Building in San Antonio (Texas) verbaut wurde.
Durch die Größe und das Herausstechen von Hochhäusern in Innenstädten hat ihre Gestaltung eine Vorbildfunktion. Eine natürliche Belüftungsstrategie hat in Hochhäusern das größte Potenzial zur Emissionsreduzierung. So werden drei Vorteile auf einmal erreicht: mehr Komfort für die Bewohner, starke Reduzierung des Energieverbrauchs des Gebäudes und ein großer Beitrag zur vollständigen Beseitigung von Kohlenstoffdioxidemissionen beim Betrieb vor 2030.
Wenn diese tragische Pandemie etwas Positives bewirkt hat, dann ist das zweifellos die Erholung der Natur in den Städten während des Lockdowns. Wir müssen bei der Planung von Hochhäusern auf radikale Änderungen bestehen und den Weg in eine emissionsfreie Zukunft ebenen und zwar so schnell wie möglich.
Denken Sie noch einmal an die Umfrage am Anfang dieses Artikels zurück, laut der sich ein großer Teil der Büroangestellten in London bessere Luftqualität wünscht und darüber nachdenkt, an die Küste zu ziehen. Saubere Luft und ruhigere Straßen werden in den Städten schon bald Realität sein. Aber natürlich ist es immer noch schön, am Wochenende einen Ausflug ans Meer zu machen.
Dieser Artikel basiert auf meiner Präsentation bei der CTBUH 2020 Conference – Post Crisis City.
Vince Ugarow ist Design Director bei Hilson Moran.